bittemito

Monat: April, 2014

Unbedarftjugendalbernheitfetzerey

Vor Jahresfrist verließ der Altkater das Gehöft an der Biegung des Flußes. Ob er, der doch so gefahrengewappnet war, dem gurgelnden Hochwasser zum Opfer fiel, oder woanders weniger aufmüpfigen Miezenklüngel als hier fand, das konnte keiner sagen. Aber ein Neukater mußte her. Die Wahl fiel auf den schicken Schwarzweißen. Er machte sich prächtig, wurde stolzer und schöner. Benamst mit Kuhkater, aufgrund seiner hübschigen Flecken, paßte er wunderbar zu den rotgraubunten Katzendamen. Den Menschen gegenüber gab er sich schüchtern und zurückhaltend. Soweit also keinesfalls geschichtenergiebig. Bis zu dem Tage, an dem die stets fröhlichvergnügte Brudertochter anfing nach Adi zu rufen. Der Rest der Sippe wunderte sich. Adi? Wer soll das denn sein? Quietschlachendkringelig wies das Junggör‘ auf den Vis-à-vis-Anblick des Kuhkaters hin.

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Nach kurzem Entsetzen, dann losprustend, daskannmandochnichtmachenmurmelnd, entschied der Sippenrat: Man darf auch über Adi lachen. Nur Adi, der versteht die Aufregung und das Gewese um sein Antlitz nicht. Obwohl, er läßt sich ungern ablichten, vielleicht schwahnt ihm was. Schüchtern jedenfalls ist er geblieben.

Scriptoriumischesrefugium

Ich habe letzthin Schätze gesehen, die mich atemlos machten. Wenn ich es denn vermöchte, ich böte mich als Gralshüterin an. Unwürdig sicherlich, aber mit bebendem Herzen und verehrungsgeneigtem Nacken. Meine Hände trauten sich kaum, die Kostbarkeiten zu erkunden. Ackerdamenhände sind nicht pergamentsensibilisiert. Aber ich würde mir Samthandschuhe schneidern lassen, dürfte ich in den Wortwarten blättern.  Auch meine Pupillen verwehrten sich den allzu dreisten Blick aus dem Wimpernvorhang. Sie hatten wohl Furcht, sich restlos zu verlieren. Erhaschten so nur Namensflüchtigspuren und Wortkunstschatten. Diese reichten aus, meinen Atem stockend zu machen. Augenwasser stieg in mir auf, als müßten meine Blicke noch verschwommener werden von all der Silbenpracht, die hier in Einband um Einband vereint. Bedauern und Erleichterung beglitten meine Flucht aus diesem Buchstabenparadies. Die Überwältigung hatte mich stumm gemacht und ich vergaß, um erneuten Zugang zu bitten. Nun trage ich Buchlust im Leibe und möchte  dem Refugium mich verdingen. Nicht für Lohn oder gar Abschwatzerey, nein, nur um die Kostbarkeiten zu beaugenscheinen.

Fastzwanzigjahrefrieden

Fast hättest du es geschafft, diese schöne, stolze Frau zu brechen. Wie oft saß ich in den letzten Fastzwanzigjahren hier an diesem Küchentische und hörte wieder und wieder ihrer immer leiser werdenen Stimme zu, die von eigentlich Unaussprechlichem berichtete. Es war wie ein versichselbständigtes Ritual geworden. Kam unser Gespräch auf dich und jenen Vorfastzwanzigjahrentag, egal wo wir waren, wir schauten uns an, erhoben uns und gingen in die Küche, jenem eigentlich so lebens- und liebensvollen Ort. So auch heute. Die Nacht war unruhig, das Haus voller Mahre. Ich bin die Treppe hinauf gestiegen, einen Tee mir zu machen. Aus ihrem Schlafgemach klang leises Gewimmer. Ich wollte mich zu ihr legen, sie trösten, ich dachte, es wäre der neue Kummer, der sie kaltschaurig machte. Sie schaute mich an, mit diesem Blick und wir gingen hin zum Küchentische. Ich machte uns Tee, holte die zierlichen Porzellantassen und die Silberlöffelchen. Notwendig waren sie nicht, die Löffel, der eigenkräutergärtige Tee bedurfte noch nie einer Versüßung. Wir brauchten die Löffel um unseren Händen Ablenkung zu geben, wir wollten sie nicht mehr nur ringen. Und wieder rauhte sich ihre Stimme an dem Bericht auf, den du uns an jenem Vorfastzwanzigjahrentag so grausam diktiertest. Ich schaute dabei stumm auf ihre Hände, die im Abspulen der Jahre eine ganz andere, beredte Schönheit angenommen. Der kleine Silberlöffel tanzttangote zwischen ihren schmalen Fingern, die hervorstehenden Adern auf ihren Handrücken schienen den Takt vorzugeben. Jedes ihrer Worte kannte ich, doch sie brannten sich jedesmal aufs Neue gräßlich in meine Seele hinein. Dann ein Stocken, eine Pause in der Wortflut. Sie stand auf und verließ mich. Ich vermochte es nicht, den Blick zu heben, ihr hinterherzusehen. Versuchte nur, das Augenwasser hinterm Wimpernvorhang zu halten, er war doch noch nicht beendet, ihr Bericht. Und in mein stummes Ringen hinein schob sich auf blumentuchigen Untergrund ein feinliniiertes Stück Papier. Deine Handschrift sprang mir so strenggradschraffiert in die ohnehin wehen Augen, unmöglich da noch den Warmsalzfluß zurückzuhalten. Lautlos weinte ich die so vertrauten Tränen, kein Schluchzen, keine Schauer, die den Rücken bogen und den Kopf senkten. Ich beweinte dieses Stückchen Papier, das sie so lange vor mir verborgen hatte. Zwar wußte ich um die Existenz dieser letzten Worte, doch nie zuvor hatte sie eines von uns Kindern teilhaben lassen. Ich habe ihn nicht in die Hand genommen, ich senkte meinen Kopf noch tiefer, nachdem ich deine Worte in mich aufnahm. Sie hat ihn wieder an sich genommen, weggetragen und als sie zurückkam, sagte sie die den Kreis sich schließenlassenden Worte: „Kind, liebes, genau hier fand ich den Zettel, hier auf dem Küchentisch.“ Ich hob endlich den Blick und sah in ihre müdegeweinten Augen, in denen dennoch so oft Schalk und Übermuth blitzte. Ich habe deine Worte verinnerlicht, mein Zorn erlischt allmählich. Und noch ein Kreis scheint sich langsam zu schließen, ein Fastzwanzigjahrefrieden erscheint tröstend möglich. Fast hättest du es geschafft, diese schöne, stolze Frau zu brechen. Aber nur fast, Papa, aber nur fast.

Als wäre ich je in Amerika gewesen

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Vielleicht sind Knoblochminiteilchen an Amerikas Gestaden gelandet, meine ureigenen waren es nie. Ich hatte als Junggör‘ einen Sommer lang mein persönliches Amerika. So benamst ward der stilltiefkalte See, mittenwaldig versteckt. Nur wenige besuchten ihn, die Pfade hin zu ihm waren holprigsteinigmeilenweit. Durch sirrendflimmerstaubige Felder, begleitet von Lerchengesang, sodann willkommengeheißen unter frischschattigem Blätterdach noch ein ganzes Stück des Weges, eine letzte Kurve und ruhigschimmernd lag der See vor mir. Ich vertraute der Böschung den Drahtesel und meine Gewänder an und ergab mich dem dunkelsten aller Wasser, die ich je sah. Zeitchen später lag ich unter den sanftmurmelnden Bäumen und der Streichelwind machte mich gänsehäutig. Dort, an meinem Amerika, beweinte ich meinen ersten Jungmädchenliebeskummer und auch mein erstes unschuldiges Seufzen, eigenhändig ertastet, verhallte zwischen Dunkelwasser und Blätterdach. Vielleicht hat dieser Ort mein Kindheitsende befeuert, es war der letzte Sommer für mich im Heimatdorfe. Ich war seitdem nicht mehr dort, hatte mir nie die Zeit genommen. Nun lieh ich mir der Brudersfrau Rad und befuhr fremdvertraute Wege. Mein Amerika hat jemand anderes inzwischen in Besitz genommen. Gerodet, umzäunt, urbar gemacht. Das einst so ebenholzschwarze Stillwasser getrübt, verlandet gar. Meinem inneren Amerika passiert das nicht. Ich habe mir einen Stein von da mitgenommen und halte mein Amerika in Hand und Herz fest. Für immer mein.

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Daheemewirdwoandersseyn

Kaum angekommen beim Haus an der Biegung des Flußes, krawummt mich die Erinnerung an. Sie läßt mich wie als Junggöre in die starken Arme meines Bruders fliegen und jubiliert in mir, wenn er mich wie einst im Kreise dreht. Die Erinnerung hinabsteigt mit mir vorsichtigfüßig in den Bauernhauskeller. Vieles ist umgebaut worden, doch der ist noch genauso wie damals, als Ominkel hier unten die Hinterlassenschaften der Russen fand. Schaudernd und heute für mich zum Glücke, wendet sich die Erinnerung hier jedoch einstweilen ab. Sieht nur die Uraltregale voller Weckgläser, eingekochte Sommergenußerinnerungen und Schlachtfestschmackhaftigkeiten. Meine Erinnerung kalbert kichernd in den bierseeligen Lagerfeuerabendgesprächen, wenn ich urplötzlich in den hiesigen Jargon verfalle. Daheeme. Hier bin ich daheeme. Morgenstundig sitzt meine Erinnerung teeschlürfend am immernoch wackelndem Küchentische und beäugt die Köstlichkuchenbackerey von Mama Löwenherz. Die Handgriffe sitzen wie eh und je, nur die Unterzwoaugenpaargespräche sind nun voller Schmerz und Kummer. Morgens, da gestattet sie sich ein klein wenig Jammer um alle die Lieben, die schon von ihr gingen und wehklagt über das sich immer schneller drehende Rad der Zeit. Meine Erinnerung putzt mit mir sorgfältig das erbstückige Silberbesteck, das den letzten Krieg unternußbaumig vergraben überdauerte und die zartdünnhauchigen Weingläser, an denen schon Uroma einst nippte. Wie haben die nur das Weltengetöse überstanden? Hinter der einstigen Tabakscheune, in unzähligen Lagen Stroh verborgen, so die Auskunft der Frau Mama. Etwas ratlos registriert meine Erinnerung die sich immer häufiger ankündigenden Veränderungen im Elternhaus samt Gehöft. Die nächste Generation macht langsam Platz für ihre ureigenste Zuhauseerinnerungsschafferey. Und allmählich sickert durch alle diese Erinnerungen eine bitterwehmütige Erkenntnis. Bald, vielleicht nur allzubald, bin ich hier nur noch Gast. Ein gerngesehener zwar, aber ein Gast. Mein Daheeme wird dann ein anderes sein.

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