Fastzwanzigjahrefrieden
von Käthe Knobloch
Fast hättest du es geschafft, diese schöne, stolze Frau zu brechen. Wie oft saß ich in den letzten Fastzwanzigjahren hier an diesem Küchentische und hörte wieder und wieder ihrer immer leiser werdenen Stimme zu, die von eigentlich Unaussprechlichem berichtete. Es war wie ein versichselbständigtes Ritual geworden. Kam unser Gespräch auf dich und jenen Vorfastzwanzigjahrentag, egal wo wir waren, wir schauten uns an, erhoben uns und gingen in die Küche, jenem eigentlich so lebens- und liebensvollen Ort. So auch heute. Die Nacht war unruhig, das Haus voller Mahre. Ich bin die Treppe hinauf gestiegen, einen Tee mir zu machen. Aus ihrem Schlafgemach klang leises Gewimmer. Ich wollte mich zu ihr legen, sie trösten, ich dachte, es wäre der neue Kummer, der sie kaltschaurig machte. Sie schaute mich an, mit diesem Blick und wir gingen hin zum Küchentische. Ich machte uns Tee, holte die zierlichen Porzellantassen und die Silberlöffelchen. Notwendig waren sie nicht, die Löffel, der eigenkräutergärtige Tee bedurfte noch nie einer Versüßung. Wir brauchten die Löffel um unseren Händen Ablenkung zu geben, wir wollten sie nicht mehr nur ringen. Und wieder rauhte sich ihre Stimme an dem Bericht auf, den du uns an jenem Vorfastzwanzigjahrentag so grausam diktiertest. Ich schaute dabei stumm auf ihre Hände, die im Abspulen der Jahre eine ganz andere, beredte Schönheit angenommen. Der kleine Silberlöffel tanzttangote zwischen ihren schmalen Fingern, die hervorstehenden Adern auf ihren Handrücken schienen den Takt vorzugeben. Jedes ihrer Worte kannte ich, doch sie brannten sich jedesmal aufs Neue gräßlich in meine Seele hinein. Dann ein Stocken, eine Pause in der Wortflut. Sie stand auf und verließ mich. Ich vermochte es nicht, den Blick zu heben, ihr hinterherzusehen. Versuchte nur, das Augenwasser hinterm Wimpernvorhang zu halten, er war doch noch nicht beendet, ihr Bericht. Und in mein stummes Ringen hinein schob sich auf blumentuchigen Untergrund ein feinliniiertes Stück Papier. Deine Handschrift sprang mir so strenggradschraffiert in die ohnehin wehen Augen, unmöglich da noch den Warmsalzfluß zurückzuhalten. Lautlos weinte ich die so vertrauten Tränen, kein Schluchzen, keine Schauer, die den Rücken bogen und den Kopf senkten. Ich beweinte dieses Stückchen Papier, das sie so lange vor mir verborgen hatte. Zwar wußte ich um die Existenz dieser letzten Worte, doch nie zuvor hatte sie eines von uns Kindern teilhaben lassen. Ich habe ihn nicht in die Hand genommen, ich senkte meinen Kopf noch tiefer, nachdem ich deine Worte in mich aufnahm. Sie hat ihn wieder an sich genommen, weggetragen und als sie zurückkam, sagte sie die den Kreis sich schließenlassenden Worte: „Kind, liebes, genau hier fand ich den Zettel, hier auf dem Küchentisch.“ Ich hob endlich den Blick und sah in ihre müdegeweinten Augen, in denen dennoch so oft Schalk und Übermuth blitzte. Ich habe deine Worte verinnerlicht, mein Zorn erlischt allmählich. Und noch ein Kreis scheint sich langsam zu schließen, ein Fastzwanzigjahrefrieden erscheint tröstend möglich. Fast hättest du es geschafft, diese schöne, stolze Frau zu brechen. Aber nur fast, Papa, aber nur fast.
Das ist diese Art von Text, bei dem ich nicht weiß, was ich dazu schreiben soll, weil er nach einer festen Umarmung in Stille schreit, was hier nicht möglich ist, und dennoch möchte ich etwas schreiben, um kundzutun, dass ich las und mitfühle, in dem bescheidenen Rahmen, in dem das für Außenstehende möglich ist. Um abraço.
Und das ist diese Art von Kommentar, die spüren läßt, wie anrührend eine gedachte Umarmung sein kann. Danke. Ich habe lange überlegt, ob so etwas zumutbar ist, aber wie sehr Wortformulierey doch hilft, die Dinge deutlicher zu sehn und es gehört ja auch zu mir, zu unserer Geschichte. Ja…
Ich schließe mich Deinen Worten einfach an, denn ich finde keine anderen.
Frau Knobloch, fühlen Sie sich ganz fest gedrückt. Am besten der Famoslanghaargeselle im Haus am Ende der Straße drückt Sie den ganzen Abend. Und ein Hoch auf Mama Löwenherz.
Danke, mein lieber Freund. Es trägt wohl manche Familie eine Geschichte mit sich. Damals dachten wir alle, wir könnten nie wieder lachen, tanzen, unbeschwert sein. Allein, das Leben sucht sich seine Freuden wieder und irgendwann schließt sich der Kreis. Für mich war dieses eine Küchentischgespräch ein regelrechter Abschluß. Je mehr ich daran denke, umso geringer lodert der Zorn in mir bei dem Gedanken an den, der sich so feige davonstahl, wie ich immer dachte. Feige war wohl das falsche Wort…
Ich hatte einmal einen Film gesehen, „Der letzte, schöne Tag“. Da sagt der Hauptdarsteller diesen bemerkenswerten Satz: Ein Tod nimmt die Zukunft. Ein Selbsttod nimmt die Vergangenheit.
Ich denke niemand, der diesen Schritt geht, geht ihn einfach.
Der letzte schöne Tag. Der war verdammt heftig, weil so realistisch. Und ich bin ungemein dankbar, daß wir als Familie doch noch wieder viele, viele neue schöne Tage erleben durften.
Meine Frau hatte sich geweigert den Film zu sehen und ich habe die meiste Zeit nur geheult. Man muss sich immer wieder bewusst machen, dass das Leben stärker ist. Mit jeder neuen Geburt, jeder Pflanze, jedem Unkraut. Das Leben ist stärker.
So ist es. Alles hat seine Zeit. Hättewärewenn habe ich fast ganz aus meinem Vokabular gestrichen Vielleicht mußte für mich wirklich so viel Zeit vergehen, bis ein Kreis sich schließt. Ich beäuge mich argwöhnisch weiter. Argwöhnisch ist durchaus positiv zu sehen.
Sehr gut. Allerdings finde ich so ein wenig „Hättewärewenn“ immer wieder sehr erfrischend. Nicht unbedingt in so erstem Zusammenhang, aber etwas Tagträumen ist immer wieder schön“
Tagträumen, ja. Unbedingst. Sind dann keine Hättewärewenns, sondern Flatterleichtzartwindküsse, die uns still lächelnd machen.
Was dieser Freitod noch bei mir bewirkt hat, müssen meine Lieblingsmenschen permanent ertragen: ich herze, umarme und küsse ständig und sage immer wieder, wie lieb ich sie habe. Vorher war ich nicht so anhänglich.
Das, meine Liebe, werden Ihre Mitmenschen erst dann richtig zu schätzen wissen, wenn Sie dies nicht mehr tun.Von daher, „zwingen“ Sie Ihre Mitmenschen zu ihrem Glück
Die meisten lieben es jetzt schon. Irritiert sind oft Neuliebmenschen, aber eine Umhalserin läßt sich nicht abhalten. Und auch hier, beim Schreiben mit fremdnahen Menschen werde ich nicht ablassen, ichmagsie zu schreiben. Ihnen zum Beispiel. Ich mag Sie. Ich schätze Ihre sachliche, doch empathische Art, mit den Texten anderer umzugehen.
Ach, Frau Knobloch, da bekommen Sie als Dank ein Hach.
Jetzt weiß ich auch, warum Sie die Famosumarmeringeschichte so interessierte.
Und wieder schließt sich ein Kreis. Diesmal einer betreff meiner speziellen Famosumarmerinnenneugier. Ihr Hach macht mich wohlwarminniglich. Danke.
..und doch steckt zwischen all dem Bedauern der Erfolg als wichtigste Botschaft. Das kleine Wörtchen „fast“.
Und damit kann es gut werden, ist Raum für ein „danach“.
Danke fürs Aufschreiben.
Danke für diesen treffenden Kommentar. Es fühlt sich tatsächlich an, als wäre ein „danach“ jetzt in aller Gesamtheit möglich. Ich staune…
WasFÜReinGIGANTISCH((es))WORT…….HERZlichst und einen guten ABEND gewünscht…ANDREA:)
Danke, es war gut, es in Sätze zu bringen. Einen schönen Tag auch Ihnen.
Wie kostbar Ihr „fast“ ist, liebe Frau Knobloch, und tröstend, dass sich ein Kreis schließen kann.
Mama Löwenherz ist mir ein großes Vorbild. Und die Kreisschließerey scheint tatsächlich zu funktionieren. Es fühlt sich immer befreiter an.
Ein beeindruckender Text, eine berührende Familiengeschichte. Dankeschön. Ohne Anspruch auf Richtigkeit oder Korrektur, nur mein persönlicher Gedanke, ganz allgemein: ich glaube, kaum jemand wird von seiner Geschichte gebrochen, aber jeder unterschiedlich stark gebogen. Und faszinierender Weise, entwickeln manchmal die schmerzhaft Gebogenen, einen auffällig starken Rücken. Mit allem Respekt: diese schöne, starke Frau hat allem Anschein nach, damit eine ganze Familie getragen.
Danke für diesen innigen Kommentar, liebe Frau Bukowski. Leider wurden in unserer Familie doch in jeder Generation Mitglieder gebrochen. Allein drei durch den letzten Krieg. Den überlebten sie, die Erinnerungen daran jedoch nicht. Was den Vater an jenem Tage hingegen trieb, ach, jetzt soll er seinen Frieden haben.
Mama Löwenherz ist wirklich beeindruckend stark. Ich wünschte, ich trüge vieles in mir weiter. Doch das wird erst die Zeit zeigen, wenn das Leben mich schwer prüft.
Das tut mir sehr leid. Es wäre besser gewesen, hätte ich nicht über brechen und gebrochen werden kommentiert. Es sollte keinesfalls verletzend, bewertend oder ähnliches sein. Verzeihung.
Oh, nein, Sie müssen keineswegs um Verzeihung bitten, meine Liebe. Ich erlas weder Verletzung, noch Bewertung. Zum Glücke stimmt ja Ihre Einschätzung. Und Kriege lassen wohl die biegsamsten Rücken brechen. Ich habe mich mißverständlich ausgedrückt…
Momente, die die Welt bedeuten …
…und die sich wie in Zeitlupe einprägen. Für immer.
beeindruckend ängstlich in all der zeit und stolz auf diese starke frau
Glücklich sein läßt sich nicht beschwören, doch muß man es wieder und wieder zulassen. In jedem von uns schwingt Trauer und Kummer mit. Stark ist, wer alles das erträgt. Sie ist eine wundervolle Frau, ich liebe sie mit ganzer Seele.
schön und wahr gesagt!
Ich sende Ihnen meine Gedanken, liebe Käthe, die sich mit Worten nicht formulieren lassen. Ich fühle, weiß und weine mit Ihnen.
Meine liebe MmeMme, in all‘ den Jahren war das wohl die bitterste Erkenntnis wieder und wieder: Richtig fühlen kann nur, wer um das Ausmaß der Schuld weiß, wenn man aprupt und endgültig von jemandem verlassen wird, den man liebt. Keine Frage kann mehr beantwortet werden, kein Versäumnis gebüßt. So bitter, andere genauso leiden zu sehen. Und doch ist der Mensch nicht fürs Leiden gemacht. Eher fürs Glück. Zum Glück.
Bitter die Erkenntnis, selbst mit dieser Liebe nicht vermocht zu haben, diesen Menschen zu halten. Welchen Ausweg gibt es aus dieser Spirale aus Wut, Trauer, Schuldgefühlen, Selbstzweifel? Verzeihen? Daran wachsen und stark sein und allem zum Trotze vorhandenes Glück leben und genießen? Frieden finden, auf die eine oder andere oder vielleicht ganz andere Art.
Mein Ausweg war tatsächlich Zorn, Wut und Trotz. Und auch Mama konnte erst wieder anfangen zu lächeln, nachdem sie ihn das erste Mal als verdammten Scheißkerl tituliert hat. Irgendwann kommt dann stückchenweise das Verzeihen. Aber doch nie ganz. Das Stigma der Schuld flammt wohl wohl ewig in der Brust.
…mich schier sprachlos machender text… sehr unter die haut gehend…
Danke, lieber Herr Lu. Er hat sich sehr mühsam ersilben lassen. So persönlich. Aber ich fühle mich wie von einer Last befreit…
Verehrteste, bei all meiner Liebe zu guten Wortspielfluten-angesichts der Trauer verebben mir die Worte immer wieder..doch könnte ich es leisten, so würde ich Ihnen das Stigma der Schuld aus der Brust heraus umarmen und der Sonne sagen, dass sie nie aufhören soll diese graurauhe Schaurigtraugigkeit zu überleuchten…
Es ist wohl so, wie Mama Löwenherz mal weise feststellte, wir Wellenmenschen nehmen jedwedes Aufundab intensiver mit. Ich fühle mich wohlumarmt von Ihnen, meine Liebe. Das Stigma der Schuld glüht manchmal nur sanft, man hat sich an den Schmerz wohl gewöhnt. Schlimm ist es, wenn es befeuert wird und jählodernd gen Himmel schießt. Durch Teilung wird aber auch dieses erträglicher. Ich denke ganz schnell an Phönixartigkeit und lächle unter Tränen. Danke für Ihr Mitfühlen.