…oder: Pfirsichkonfitüreammitmaronenzweigengedecktentisch
Sie wußte nicht, warum sie noch immer diesen Ring am Finger trug. Hatte es vielleicht nie so ganz richtig gewußt. Klar, sie waren verliebt einst, als ihre Haut noch makelos und ihr Gang den Rock ihre sanftbraunen Beine umkecken ließ. Sie lächelte fein bei der Erinnerung, daß sein Blick sich verdunkeltiefte, wenn sie an ihm vorüberlief und wie sie daraufhin alle ihre Kleider und Röcke unter dem barmenden Protest ihrer Mutter kürzte, damit ihre rundlockenden Kniee unterm Saume hervorblitzen konnten. Bei dieser Erinnerung glich ihr Blick fast dem des Jungkerls von einst. Wer hatte eigentlich den Blödsinn erdacht, daß nur stille Wasser tief sein sollen? Sie waren nicht still, waren es nie gewesen, immer laut rebellierend. Sicher, er hatte sie manchmal ein wenig gebremst, wenn es ihr allzu arg flauste. Nein, still waren sie nie. Tief aber dennoch. In den innigsten Momenten waren sie mariannengrabentief. Es hätte sie wohl umgebracht, ewig in der Tiefe zu verweilen. An der Oberfläche war es sicherer, ungefährlicher. Sie suchten stillere Fahrwasser auf. Wurden eine Familie, solide. Ihr Blick verlor an Tiefe, als sie daran dachte, wie sie anfing, ihn zu verlieren. Sie sah in die Ferne, so wie an jenem Tag, nachdem sie erstmals eine Antwort in seinen hellgrünen Augen las. Erkennend, daß sie ihn verloren hatte. Ihre Tochter war flügge geworden und nun mußte sie auch ihn ziehen lassen. Tat es um der Liebe willen, die sie auch nach all‘ den Jahren immer noch empfand. Kam allein zurecht, erhielt Grüße voller Freiheitsjubel. Freute sich mit. Und doch war da immer diese Sehnsucht, dieser nagende Zweifel. Was war sie ihm gewesen? Einst und was war sie ihm jetzt? Ein Lachen aus der Küche perlte ihre Gedanken weg. Einmal im Jahr waren sie wieder eine Familie. An ihrem Nichtmehrunddennochhochzeitstag, wie sie es heimlich nannte. Die Wege hatten sich getrennt, die alten unsichtbaren Fäden schwangen dennoch weiter. Jetzt saßen die zwei, die sie mehr als alles andere in ihrem Leben liebte, in ihrer Küche und frozzelten über alte Photographien. Unwillkürlich lauschte sie…
„Hier, schau´ dir mal dieses alte Foto da an. Garnicht lange vor deiner Zeit. 1958 im Spätsommer aufgenommen. Warum grinst du? Klar, wir waren jünger und knackiger. Schau dich an und merks dir, auch du wirst nicht jünger werden. Deine Mutter sah so was von gut aus. Ich weiss sogar noch, welches Kleid sie damals anhatte. Eigentlich wars garnicht lustig. Unsere letzte Chance genaugenommen. Wir wohnten damals in Little Rock, Arkansas.
Haben den Kanal voll und dicht. Von der Stadt, den mies bezahlten Jobs und vor allem von uns. Irgendwie sind wir in einer Sackgasse gelandet. Und zwar am Ende. Wir sitzen mittags in dieser schäbigen Kneipe an der Capitol Avenue. Draussen steht der blaue 57er Rambler Rebel. Du kannst ihn auf dem Foto erkennen. Gerade erst gebraucht gekauft für 1800$. Ein Traum aber kein guter Anker für den glatten Untergrund, über den wir damals schlitterten. Eigentlich will ich meinen Hut nehmen. Adieu und das wars dann.
Der labberige Hamburger schmeckt beschissen und die Coca ist pisswarm. Obwohl wir schlecht drauf sind, lachen wir über den Frass gleichzeitig los. Sehen uns an und fassen spontan den Entschluss. Verrückt aber wahr. Fahren zur Wohnung, packen unser bisschen Kram in die Karre und geben dem Vermieter den Schlüssel. Draussen vor der Stadt entfalte ich die Strassenkarte auf der Haube des Rambler. Mit geschlossenen Augen und spitzem Finger sticht deine Mutter zu. Detroit. 850 endlose Meilen nordostwärts, ich fasse es nicht.
Seis drum, unsere letzte Chance, wie gesagt. Während der Fahrt schweigen wir uns an. Nur kein falsches Wort jetzt. Das hast du ja selbst schon erlebt. An einer Tanke kommt deine Mutter auf diese kauzige Idee. Sie hatte eine Freundin drüben in Lanesville und übernachten müssen wir sowieso demnächst. Wie? Lanesville, das liegt in Indiana, altes französisches Gebiet, hundert Käffer drumrum alle mit ville am Ende.
Ewige Telefoniererei. Ich bin genervt. Wie jedesmal. Was? Sei du nur ganz still. Aber sie kriegts tatsächlich hin. Die Freundin ist gerade oben in Chicago. Alles klar und kein Problem, der Schlüssel läge unter der Matte. Also nehmen wir die Interstate 64 Richtung Osten. Leicht flau im Magen. Ich habe die ganze Zeit eh Befürchtungen wegen der gewohnten Abenddiskussionen.
Naja, wir finden die Hütte endlich. Bisschen ausserhalb direkt am Ohiofluss. Ein kleines lauschiges Häuschen, leicht runtergekommen. Weniger als wir damals auf jeden Fall. Wir hatten in Lanesville noch was zum Essen und Trinken besorgt. Die Sonne wird bald untergehen. Im Radio dudelt eine Show mit Buddy Holly. Der ist ´58 gerade auf seinem Zenith und ein halbes Jahr später abgestürzt.
Dann spielen sie Well … all right, das es noch garnicht auf Platte gab. Jetzt dreht deine Mutter lauter und fängt sachte an zu tanzen. Will plötzlich unten im Ohio baden. Nackt. Damals, stell´ dir das mal vor. Ich habe Manschetten. Sheriff, Mecker und Gerede. Sie ist jedenfalls wie ausgewechselt. Ich lass´ sie also machen, traue dem Frieden ohnehin nicht. Erstmal mal eine heisse Dusche nach der langen Fahrt. Dann mache ich uns in der Küche ein schnelles Abendessen. Ich kriege nicht mit, dass weg ist. Ok, draussen auf der Veranda setze ich mich in diesen Korbsessel da und zische mir ein Bierchen.
Sie kommt zurück mit einem Blick, den ich bisher nicht kannte. Lacht mich an, geht an mir vorbei ins Bad. Wir haben dann was gegessen und redeten. Einfach so. Belangloses. Und irgendwie trocknete dabei der ganze endlose Ozean zwischen uns aus und nahm diese kalte Fremdheit gleich mit. Poetisch? Ja, lach´ du nur, so wars wirklich. Wir haben die ganze Nacht durchgeredet. Sachen, über die wir noch nie geredet hatten, dabei waren wir schon ganze vier Jahre zusammen. Soviel Nähe hatte ich noch nicht erlebt. Haben uns auch geliebt nach ewigen Zeiten wieder.
Am nächsten Morgen sind wir gleich nackt geblieben und haben die Wärme genossen. Nein, natürlich war das nicht üblich damals, keinesfalls, aber wir hatten gerade da dieses Buch von Keruoac gelesen. Könntest du dir auch mal ausm Regal ziehen. On the Road war vor kurzem erschienen und machte mächtigen Wirbel weil es so anders war. Und irgendwie wollten wir ja auch anders leben. Wolltens anders und vor allem besser machen. Ich hantierte jedenfalls in der Küche und sah dabei zufällig wie deine Mutter draussen im Korbsessel sass. Ein wenig zerknautscht von zu wenig Schlaf. Dreht gerade den Kopf aus der Sonne. Ich schnappe mir rasch meine neue Brownie und mache ein paar Fotos von ihr. Klar, sag´ ich doch, dass sie sehr schön ist, damals und heute noch immer. Ob du in dieser Nacht entstanden bist? Keine Ahnung, könnte schon möglich sein.“
…und plötzlich wußte sie, warum sie noch immer diesen einen Ring trug. Er mochte freiheitsliebend sein, der Jungkerl von einst, der jetzt ein Bild von einem Altkerl war, den Mariannengraben aber hatte er nie wirklich verlassen.
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