Liedschlecht-Ohrschmerztexte Kübelkapitel 1
Neulich sprang mich ein Lied an, biß sich in meinen Lauschlappen fest und verursachte heftigstes Weh. Ich konnte nur durch inneren Widerspruch eines Festsetzens mich erwehren. Es gibt Lieder, die agieren zeckig, man muß sie von Hand entfernen, bevor sie sich zu sehr festsaugen. Denen sei diese Rubrik fürderhin gewidmet, eine Liedschlechtdeponie sozusagen. Angeliefertes Kübelgut wird gerne kostenlos entgegengenommen, heute schütte ich den ersten Kübel aus:
Hallo, hallo
Bist du auch so gelangweilt,
Genervt und gestresst von der Enge der Stadt
Bist du nicht auch längst schon müde
der Straßen, der Menschen, der Massen
Hast du das nicht satt?
Hallo, hallo zurück erstmal. Gelangweilt, genervt, gestresst und müde zugleich? Ja, das klingt tatsächlich nach Übersättigung der schlümmpsten Wortart.
Ich kann nicht mehr atmen
Seh kaum noch den Himmel
Die Hochhäuser haben meine Seele verbaut
Bin immer erreichbar und erreiche doch gar nichts
Ich halte es hier nicht mehr aus
Gut, das alles klingt nachvollziehbar, wäre auch kein erstrebenswertes Leben für mich.
Lass uns hier raus
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Hört der Regen auf Straßen zu füllen
Hör’n wir endlich mal wieder
Das Meer und die Wellen
Lass und gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Bitte? Meer- und Wellengesäusel hinter Berlin oder Köln? Und kein Regengeprassel mehr auf den Straßen? Äh, was meinste denn damit? Regnet’s da nicht mehr oder biste der Annahme, da gäbe es keine Straßen mehr? Und überhaupt: Lass uns hier raus, lass uns gehen; wer soll dich denn lassen? Haste keinen eigenen Willen? Ich fange an, mir Sorgen zu machen…
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Hör’n die Menschen auf Fragen zu stellen
Hör’n wir endlich mal wieder
Das Meer und die Wellen
Lass uns gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Häh? Oh, Pardöngsche, du meinst ja, hier werden ja keine Fragen mehr gestellt. Nun, das macht die Sache jetzt ein wenig kompliziert. Ich versuche es trotzdem: Ich entnehme der erneuten Feststellung, daß man hinter Berlin und Köln das Meer hören zu wünscht, einen gewissen geographischen Mißstand und ersuche um Aufklärung, wieviel Hinterlandmeter hinter Berlin oder Köln denn so gänzlich ohne Straße und/oder Regen denn wohl durchschritten werden wollen. Für den Fall, man würde gelassen. Gelassen werden im Sinne von Entspannung wäre die Alternative.
Die Stadt frisst die Ruhe
Mit flackernden Lichtern
Schluckt Tage und Nächte in sich hinein
Gehetzte Gesichter in der drängelnden Masse
Jeder muss überall schnell sein
Das klingt nun wirklich grauenvoll. Es und der Text kann gar nicht schnell genug weitergehen. Da kann ich der Notwendigkeit des Schnellseins nur zustimmen, wenn auch ohne gehetztes Gesicht.
Zwischen den Zeilen hab ich gelesen
Dass wir beide weg von hier wollen
Wir stecken hier fest
Verschüttet im Regen
Und träumen vom Sommer in Schweden
Bei aller Wiesenwesenwillen, warum ist denn der Regen immer das Problem? Oh, keine Fragen im Hinterland, ich vergaß… Ohne Regen, da haben die Menschen erst richtig Sorgen! Die Zwischenzeilenleserei an sich fetzt ja bekanntermaßen ungemein, aber in Aufbauanleitungen für Pseudoschwedischemöbel steht meist nur gequirlter Scheiß. Da reimt sich dann schonmal genuschelt Schweden auf Regen. Auf Regen… Aufregen tue ich mich auch über das Verschütten im Regen, ich würde ja nachfragen, aber ich muß ja aufhören, Fragen zu stellen, hier im unverschüttetem meeresrauschendem Hinterland. Ohne Straßen zudem.
Lass uns hier raus
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Hört der Regen auf Straßen zu füllen
Hör’n wir endlich mal wieder
Das Meer und die Wellen
Lass uns gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Wennde wüßtest, wie sehr ich mich inzwischen gehen lassen könnte! Mannmannmann…
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Hör’n die Menschen auf Fragen zu stellen
Hör’n wir endlich mal wieder
Das Meer und die Wellen
Lass uns gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Ooooooh…
Bitte, bittebittebitte, ohoooooohe doch einfach weiter! Ich frage auch nix mehr und ohoooooohe inbrünstig mit! Ich hätte auch ein Feuerzeug dabei, wegen des Hymnenfaktors. Man könnte sogar ohooooooend Wellengeräusche imitierend, doch das geht. Brandungsimitat kwasi…
Lass uns hier raus
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Hört der Regen auf Straßen zu füllen
Können wir endlich mal wieder
Entscheidungen fällen
Ooooooh, jetzt hätte ich mich schier vertexthaspelt! Wow, Entscheidungen fällen, da bin ich sofort dabei! Einen bessere Schlußsatzsteilvorlage könnte es nicht geben:
Hier bin ich raus! Hinter Hamburg, Berlin oder Köln, hör‘ ich auf, meine Ohren zu quäl’n. Kann endlich mal wieder mein Urteil fäll’n: Ich bin wirklich raus aus der Nummer. Meine Ohren schmerzen. Wer nochmal möchte, bitte, aber ohne mich:
Lass uns hier raus
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Hör’n der Regen auf Straßen zu füllen
Hör’n wir endlich mal wieder
Das Meer und die Wellen
Lass uns gehen, lass uns gehen, lass uns gehen
Hinter Hamburg, Berlin oder Köln
Hör’n die Menschen auf Fragen zu stellen
Hörn‘ wir endlich mal wieder
Das Meer und die Wellen
Lass uns gehen, lass uns gehen, lass uns gehen