Blaupause- Frau Liebling hört (Farbstudie I)

von Käthe Knobloch

Als ob sie fürchtete, daß genau dieser Wunsch nach tiefem, angstlosem Fallen in ihren Augen für den Fremden zu erlesen wäre, senkte sie den Blick. ‚Verdammt!‘ dachte sie, während sie um Fassung ringend ihre rotbrennenden Kniee betrachtete. Und überlegte kurz, wem dieser Minifluch eigentlich nun galt. Ihren sonnenverbrannten Beinen oder diesem symphatisch unverschämten Kerl, der da einfach stehen blieb und sie weiterhin mit sicherwissenden Blicken bedachte. „Wenn Sie möchten, bringe ich Sie an eine stillverborgene Zuflucht, flußwärts gelegen und eigentlich nur mir und Lady vorbehalten.“ Zunächst registrierte Heide dankbar die Aufhellung dieser ihr so unter die Haut gehenden Stimme, doch als nächstes wellte sich pure Aggression durch ihren Körper. „Ja klar, heulendes Elend trifft edlen Ritter! Und was führt der wohl im Schilde…“ entfuhr es ihr anklagend. „Und woher kennen Sie eigentlich meinen Namen?! Und was machen Sie hier oben und verflucht nochmal, wieso haben Sie einen blauen Hund. Und überhaupt…“ Ihre Protest fiel in sich zusammen und mit ihm ihre vorhin neuerworbene Körperspannung. Wutrot barg sie ihr Gesicht in dem tröstlich riechenden Tuch. „Meine Liebe, entzornen Sie sich bitte. Ich will Ihnen ja Ihre Antworten geben. Sie gestatten?…“ Ohne wirklich ihre Zustimmung abzuwarten ließ der Dunkelstimmige sich neben Heide nieder. „Nun, Lady stammt aus einer texanischen Zucht und wurde ausselektiert. Zuviel Weißanteil in dem blauschimmernden Fell. Ich habe sie mit rüber gebracht, sie hatte mich auf einer Tötungsstation mit einem Bernsteinblick gefangen genommen. Wenn Sie wollen, erzähle ich mehr darüber, aber das bräuchte mehr Zeit und vor allem eine andere Kulisse. Und einen guten Tropfen, der die bitteren Teile dieser Erinnerung wegspült, ich denke, Sie wissen, was ich meine.“ Heide lauschte, ohne einen Mucks von sich zu geben und auch Lady, noch immer eng an ihrer Seite liegend, hob nur kurz den Kopf als ihr Name fiel. „Ich bin hier oben, weil ich Sie gesucht habe. Nach dem spektakulären Auftritt im Treppenhaus sind Sie barbeinig nach oben gehastet und dann waren Sie aus meinem Sichtfeld verschwunden.“ Heide hob den Kopf, um sich nochmals zu vergewissern, daß der seltsam vertraute Fremde nicht doch einer aus der Etage voller Businesskaspar von gegenüber… Nein, allein sein Habitus machte derlei Sinnen zunichte. Dieser redete sachtstimmig weiter, ohne auf ihren Tastblick zu achten: „Meinen Namen gab ich Ihnen bereits: Friedhelm Schatz. Ich bin hier der Hausmeister. Daher kenne ich auch Ihren Namen und Ihre Vorliebe für die Blaue Ebene. Übrigens parke ich auch immer da. Der hellblaue Volvo, das ist meiner.“ In Heides Gedankenchaos schob sich ein sie stets beruhigender Anblick, ein einsames hellblaues Altauto vor einer etwas dunkler gebläuten Wand. Beide von einer in sich ruhenden Beständigkeit, nur ganz früh für sie zu sehen oder spätabends, wenn die wieder unbezahlten Überstunden sie aus dem Bürosklaventum entließen. Doch die Stimme ließ keine weiteren Abschweifungen zu. „Ein Ritter, befürchten Sie sei ich? Keine Sorge, Nachtwächter wie ich tragen meist ihr Visier offen. Sonst sehen wir ja gar nichts mehr.“ Heide mußte unwillkürlich lächeln. „Schön sehen Sie aus mit diesem Hoffnungsschwung im Gesicht. Ich wiederhole mein Angebot gerne: Flüsterfluß, Schatten und endlich raus aus dem urbanen Gestank. Wollen sie?“ Heide betrachtete kurz ihre sonnenverbrannten, schmutzstarrenden Füße und beschloß, einfach mal auf diesen Nichtritter, aber Dochretter zu hören. Dochdachretter ergänzte sie kopfnickend und ließ sich dann auf ihre immernoch vom Prosecco wackeligen Beine helfen. Lady sprang auf und lief schwanzwedelnd voraus, Herr Schatz führte Heide am Arm hinterdrein, wegen ihrer Barfußigkeit sorgsam den schlimmsten Schmutz umgehend und so querten sie das Parkdeck und gelangten über die Abfahrtrampe in das kühlere blaugestrichene Deck. Der hellblaue Volvo stand mit dem Heck zur Wand, startbereit und Herr Schatz sagte mit unüberhörbarem Vergnügen in der Stimme: „Meine Damen, ich bitte einzusteigen, wir starten eine Fahrt ins Blaue.“ Die Tüte mit den Schuhen und dem Restchen Prosecco sowie Lady fanden ihren Platz auf dem Rücksitz und Heide ließ sich in den ausgesessen bequemen Beifahrersitz sinken. Mit einem satten Klang schlug die Tür des Volvos zu, Herr Schatz startete den Wagen und schaltete die Musikanlage ein. Unter seltsam vertrauten und doch gänzlich fremden Tönen nahm der Wagen Kurve für Kurve und fuhr dann sachte schaukelnd aus dem Parkhaus. Heide hörte still zu…

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