Minihandweichmachmissen
von Käthe Knobloch
Nur ein Fragment des Handelns, ein Wimpernsenkundheben bar jedweder Überlegung zuvor und dennoch eines, was nachwirkt. In all‘ seinen Fragilfacetten. In mir. Fragend. Anklagend. Bittend. Der Versuch einer Beschreibung:
Die Menschen standen dichtgepresst in der S-Bahn. Einzig Platz war nahe einem schmalen Schwarzstoppelschopf und zwo in einen Kinderwagen eingepferchten Kindern. Kohleaugenpüppchen wie er. Der freie Platz war wohl der Erfahrung der anderen geschuldet oder normalem Selbstschutz, was weiß denn ich. Ich pardongisierte uns bis dahin und roch sofort einen weiteren Grund für diesen Minifreiteil. Nur weg konnten wir nicht mehr. Die Bahn schaukelte die Massen in einen unabdingbar nur nach Gleichgewicht suchenden Gleisrhythmus.
Die Kinder begannen zu quengeln und mein Blick verdunkelschwärzte sich beim fokussieren. Der Junge, vielleicht mag er zwei Jahre alt gewesen sein, fing an brabbelnd aus dem Wagen steigen zu wollen und seine jüngere Schwester tat es ihm natürlich gleich. Der Vater, wenn es denn ein solcher war, reagierte mit gezischelten Worten und unsanftem Zupacken. Als er den Buben kurz schüttelte, entfuhr mir ein scharfes Entsetzensgefauch. Er blickte hoch und ich weiß nicht, welche Furie kurz meine Mimik in Besitz genommen haben mag, doch er senkte den Loderblick und begann in dem Netz unterm Kinderwagen rumzuwühlen. Bot dem Jungen dann eine Plastikflasche Süßbrause und dem Mädchen eine Nuckelflasche milchweißen Inhalts an.
Mein Unbill ließ mich Blicke wechseln, doch außer in den Augen des Liebsten sah ich nur bei einer älteren Frau das gleiche Entsetzen sich spiegeln. Natürlich quengelte nun auch das Schwarzhaarbaby patschhändigwedelnd nach dem, was der Bruder da bekam. Wieder zischelte der Vermeintlichvater für mich unverständliche Worte und mein Entsetzen kaskadierte sich in meinen trockenen Hals, wie um einen Würgegriff zu imitieren, als er dem Mädchen harsch auf die kleine Hand schlug. Wildes Geheul sirente sich durch meine Ohren direkt ins Herz. Um sie zu beruhigen, nahm der Mann dem Jungen die Zuckerbrause weg und gab sie dem Kleinkind. Natürlich fing der Junge an zu heulen.
Das war der Moment, als ich einfach meine Hand ausstreckte, hin zu ihm. Die leuchtendroten Nägel begeisterten ihn und sein Heulen verstummte um in erstes Schieflächeln umzuschlagen. Heißschwitzig umklammerte er meine Finger, nur für zwei reichte sein Griff und zog, als er hätter er Besitz davon ergriffen. Ich gab nicht nach, sondern wackelte mich frei, um ihm die offene Handfläche hinzustrecken. Wechselte handgelenkig zwischen Rotnageligkeit und Hellkitzelfläche. Er juchzte erstmalig und begann mit seiner unbeholfenen Patschhand auf meine Hand zu schlagen. Hart und erstaunlich schmerzhaft für so einen kleinen Buben. Da hatte der Vater wohl seine Vorbildrolle sehr ernst genommen. Leider. Wahrscheinlich auch die Mutter, doch diesen Gedanken ließ ich nicht sich festsetzen.
So wie ich auch die Schlagerei nicht zuließ. Ich schüttelte lächelnd den Kopf, murmelte leise Neins, wenn der Bube ausholte und zog meine Hand zurück, hielt sie ihm wieder hin, bis er behutsamer seine Hand in die meine legte. Ich begann seine feuchte Innenhand sachte zu kitzeln, er zog sie hellauflachend zurück und auch seine kleine Schwester vergaß ihr Gequengel und wollte mittun. Erschreckenderweise auch zunächst wildhauend. Alsbald bespaßte ich beide abwechselnd und ließ auch ihre schmutzigen Fingerchen meine Handinnenfläche bekitzeln, lachte mit ihnen. Singsangte ihnen von dem Taler zum Marktgang und wir waren so in unser Spiel vertieft, daß ich fast unsere Haltestelle verpaßt hätte, wo der Anschlußzug wartete; wäre der Liebste nicht aufmerksam gewesen.
Ich hielt ihnen noch einmal meine offene Hand hin und flüsterte augenwassernd ein Aufwiedersehen, suchte den Augenkontakt mit dem mutmaßlichen Vater, doch sein Blick blieb tief gesenkt. Ich glaube nicht, daß diese kurze Episode irgend etwas in seinem Verhalten änderte, doch ich wünsche mir, daß die Kinder ihr Lachen in sich tragend beibehalten. So kleine, weiche Kinderhände, die darf man nicht das Schlagen lehren. Die müssen bestreichelt, gekitzelt und innig beküßt werden. Geliebt eben.
Interessant, dass der Vater gar nicht reagierte…
Ich konnte ihm nicht lange genug in die Augen sehen, sah nur den kurzen Moment der heißen Wut. Wahrscheinlich treibt es mich deshalb so um. Wäre doch nur Scham darinnen gewesen…
Klingt kaum nach einem (liebenden) Vater.
Liebe Mayumi, zu kurz war diese Begegnung, ich wage nicht zu urteilen, aber ich fühle ähnlich. Ich wünsche den zweien, daß sie ihr Lachen innendrinnig behalten können.
Liebe Grüße ins Elfenheim, Deine Käthe.
Das klingt es wirklich nicht… jedoch, eine kleine Lanze. Manchmal gibt es eben Tage, da verhält man sich so wie man es nicht möchte. Man ist ungeduldig. Unwirsch. Unfair. Impulsiv. Aufbrausend. Wenn hoffentlich auch immer nur in kleiner Flamme… aber manchmal gibt es da so diese Tage, an denen man sich nicht gut benimmt. An denen man sich selber später ohrfeigt, weil die Geduld fern ab war. Weil man unwirsch ist, wie man es nicht sein möchte… und dann kommt plötzlich so ein kleiner Engel . Reicht eine Hand. Ganz automatisch. Entzerrt die Situation. Lässt durchatmen. Gedanken sortieren, Geduldsakku wieder bisschen hochfahren. Frau kann sich vielleicht blicklich entschuldigen.. Manchmal schämt man sich aber vielleicht auch für seine Unzulänglichkeit und vermeidet Augenkontakt…. Wir sind halt nicht fehlerfrei. So gern man es möchte. Ganz besonders im Umgang mit Kindern. Sie möchte man immer lieb und fürsorglich aufziehen. Liebste Grüße zu der, meiner schönen rotnägelbehändete liebe Käthe, deine dir so nahe Mia…
Meine liebe Mia, ich wünsche so sehr, daß die Situation so entstanden wäre, wie Du es beschreibst. Weil alles menschlich und damit erklärbar ist. Doch der Habitus der drei kündete vom Rand der Gesellschaft, ich vermeide es, dieses derber zu beschreiben.
Deine Worte verströmen eine warme Ehrlichkeit, für die ich Dir herzlich danke, eben weil wir alle fehlbar sind.
Alles Liebe hin zu Dir, Deine Käthe, zugetan.
Bravo, Werteste!
Es ist nachgewiesen, dass ein wissender Zeuge der ein Unrecht spürbar macht, einem Kind im weiteren Verlauf seines Lebens eine große, wenn auch unbewusste Stütze für das Richtige ist.
Vielleicht hat der Mann nicht reagiert, weil er gespürt hat, dass sein Verhalten falsch war, vielleicht war er überfordert und froh, um jemand der ihn erinnert.
In Deutschland mit Kindern unterwegs sein ist ein Ritt auf der Rasierklinge, man spürt alle Meinungen: vom Helikopter-Elternteil bis zum Gewalttäter. Aber selten: O die haben Kinder, schön. Sondern eher: O Gott es wird bestimmt laut, haben die ihre Kinder nicht im Griff etc.
„Mein Vater fuhr fort, mit leiser Stimme zu mir zu sprechen. So sprechen unsere Leute immer mit ihren Kindern, so leise und ruhig, dem Kind ist es, als träume es. Aber es vergisst nie.“
Indianische Weisheit.
Ihr Teilzeit-Indianer vom See
Wertester, warm und tröstend sind Ihre Worte und wahrlich weise klingen die indianischen Worte. Dieser Impuls, mehr tun zu wollen, als diese wenigen Minuten des Lachens zu erzeugen, er klingt noch immer nach in mir. Ich denke oft an die zwei, nein drei. Wer weiß denn, warum der Mann so barsch war? Hat er es selbst so erlebt? Ach…
Herzliche Grüße gen Schönseelandien, die Ihre, flinkfleißig.
Hat dies auf ReBlog! Hier findet sich alles was mir gefällt. Über "Kategorie" wirds dann übersichtlich :) rebloggt.
Ich hatte mal eine Untersuchung laufen, vor gefühlt 1000 Jahren und in einem anderen Leben. Der Alltag von Kindern unter der Woche.
Kaum eines war dabei, das noch frei seine Zeit einteilen kann, die Eltern planen den perfekt strukturierten Tag. Inselhopping auf dem Trockenen. Und vergessen in ihrer Perfektion das was eigentlich wichtig ist. Sicher nicht allgemeingültig. Gepaart mit der Tatsache, dass der Druck auf Eltern in unserer Gesellschaft immens ist, da man ständig dem Vergleich ausgesetzt ist, macht das alles nicht besser. Meine Generation ist teilweise noch mit geduldetem Schmerz aufgewachsen, hier hat sich viel geändert, aber eben nicht alles. Das entschuldigt nicht viel, aber lenkt vielleicht zu den Ansatzpunkten. Ansonsten verweise ich mal auf Frau Mias Ausführungen.
In diesem Sinne, alles wird gut!
;)
Ich habe bei dem Versuch der Beschreibung mich absichtlich zurückgehalten, was den Habitus der drei betraf. Weil ich nicht in Schubladen denken wollte. Den von Ihnen beschriebenen Elterntyp kenne ich auch, doch diese Kinder kamen von der untersten Rand der Gesellschaft, fürchte ich. Und mich weht ein Bedauern an, nicht mehr für sie tun zu können.
Ihnen sende ich zugetane Grüße, Ihre Frau Knobloch.
Ein Splittermoment… was war schon an dem Tag, wie Leben sie, was steht noch bevor? Eine Mixtur an Möglichkeiten.
Schön, wenn ein eingefahrener Moment unterbrochen wird durch eine hingehaltene Hand. Es ist wie die Geschichte von der verschlossenen Faust, die nicht mir Gewalt, wohl aber durch Streicheln geöffnet wird. :-)
Chapeau für den Mut, die Hand zu reichen und nicht nur genervt zu sein, vom Gebrüll..
Liebe Grüße,
Silbia
Ja, ein Splittermoment, das haben Sie schön formuliert, liebe Frau Silbia. Genau wie Ihre weiteren Worte, auch sie eine warme Silbenstola, die gebeugten Nacken wohlig umhüllt werden lassen.
Danke dafür und ganz liebe Grüße zurück, Ihre Frau Knobloch.
Mehr rotfingernagellackierte Hände, bitte! :)
Ob bemalt oder nicht, Hauptsache sie schlagen nicht zu, diese Hände…
Herzlichst, die Ihre.
Exaktement!
Beste Grüße in den Sonntag hinein
Der Salva :)
Eine Hand, ein paar Finger, ein freundliches Gesicht, ein Lächeln, so einfach kann es sein, tristen Kindermomenten ein helles Strahlen zu geben. Es sind die kleinen Dinge, die so viel bewirken. Hinschauen, statt Wegschauen.
Ja, meine liebe Ella. So wenig kann doch viel sein. Wir müssen endlich wieder menschlicher werden. Wenigstens das…
Ganz herzliche Grüße und alle guten Gedanken Ihnen, Ihre Käthe, herzvoll zugetan.
Toll!
Naja…
Sagenhaft! Die Geschichte und die Kommentare!
Da fühle ich mich in Deutschland zu Hause, auch wenn es jetzt manchmal schwer fällt. Es ändert sich viel, ich ändere mich, und solange der Himmel noch freundlich ist, möchte ich Kindelachen hören …
Danke und seien Sie herzlich willkommen geheißen. Möge Kinderlachen nie verstummen.
Freundliche Grüße, Käthe Knobloch, bitte mit o.
Manchmal, wenn wer restlos überfordert ist, reicht wer anders eine helfende Hand. Ich habe schon so viele liebevolle Väter gesehen und genauso viele unliebenswürdige Mütter (und umgekehrt), dass sich mir geschlechtsspezifische Zuweisungen erst gar nicht näher zu kommen trauen. Sie haben diese Situation so gut beschrieben und im wahrsten Sinne des Wortes ge-hand-elt, wie es besser gar nicht hätte sein können. Ein sehr schöner Text, meine Liebe! Ein beherzter, wie ich sie so gern von Ihnen lese!
Heute mit meinem Chef in einer KiTa zum Interview gewesen. Alles kleine Wiesenhummeln zwischen eins und drei Jahren. Er will so einen Stoppelhopser knipsen, hält drauf auf den Sandkasten und was macht der Lütje…? Zieht sich kurzerhand die Mütze über die Augen…😊Das Bild schick ich Ihnen gleich in den virtuellen Briefkasten.
Ein kleines Betthupferl…
Zugeneigte und jetzt müde Grüße mit innigem Rotgefunkel übern Hermann,
Ihre Karfunkelige✨
Danke für das Herztextlob und den stoppelhopsigen Abendgruß, ich funkele hingerissen zurück.
Flinksausige Freitagsgrüße, immer die Ihre und außerdem abersowasvonzugetan.
Liebe Käthe, hier trifft sich schon wieder mal eine so kluge und liebenswürdige Kommentargesellschaft, daß es eine Freude ist! Einen wunderbaren, mir sehr zu Herzen gehenden Text haben Sie da geschrieben, vielen Dank! Viele liebe Grüße von Ihrer fremden Freundin.
Ich danke Ihnen, liebe fernnahe Freundin und ja, es ist immer eine besondere Freude, so famose Kommentare geschenkt zu bekommen. Leider fehlt mir im Moment die Zeit für längere Antworten oder gemütliches Bloggebummel.
Viele liebe Grüße retoure, Ihre Käthe, schreibend zugetan.
reicht einander die Hände ……
… so soll es sein, ja.
Herzliche Grüße, Ihre Frau Knobloch.
Sie haben die kleinen Seelen für kurze Zeit „in Obhut genommen“. Das wird Folgen haben! Lächel.-
Das ist wundervoll formuliert. Vielen Dank dafür und herzliche Grüße an die Wildzarte, die Ihre, mitlächend.
Eine Melange aus Leserausch und Mitschmerz…
Danke fürs Mitlesenfühlen, mein lieber Tristan.
Einen friedlichen Sonntag wünsche ich Ihnen, Ihre Käthe.
Vielen lieben Dank, dass wünsch ich auch Ihnen liebe Käthe.
Das ist sehr, sehr eindrücklich, liebe Frau Knobloch.
Danke, mein lieber Herr Zeilentiger, ich verneige mich stille heute.