bittemito

Monat: Januar, 2016

Warmtrauerwunschtrugwunderach

Warum wünschen wir uns manchmal mehr, als wir je ertragen könnten? Sind bereit, uns innenhäutig aufzuzeigen, obgleich wir um die Salzigkeit der fremdgeweinten Tränen wissen? Was inmitten unserer eigeninseligen Menschlichkeit läßt uns Rettungsringe aus unseren Feinstnerven flechten, die so oft doch ein untergehendes Menschenlicht nicht aus dem Verlöschen bergen, weil manches Licht eigenlidig untergeht? Warum öffnen wir dennoch unsere Innenlichtquelle und versuchen einen Ausweg zu erkennen, obgleich der tastende Innenstrahl im Dunkeln flackernd keine Reflektion mehr findet? Warum wundern wir uns, wenn solcher Lichtstrahl manchmal uns umflort? Wir haben doch nicht um Hilfe ersucht, aber sie vielleicht herbeigeglommen.

Warum? Weil wir uns wundernde Menschen sind. Und hoffentlich bleiben.

Verwegene Verse / unnumeriert

Ich bediente mal einen feistfrechen Herren in Schwaben

und bedienen heißt hier mit Speis‘ und Trank ihn laben.

Keinesfalls hätte ich ihn auf andere Art bedienen gewollt,

sein dreistes und plumpes Gewese war mir sehr abhold.

Zumal seine Gattin, direkt neben ihm am Tische platziert,

höchst aufgerüscht und schmallippigfingerspreizig geziert,

lauthals seine Verdienste um die Untergebenen lobpreiste.

Weswegen wohl die Serviette sich wölbte neben der Leiste!

Deutlich fühlbar wollte er, daß auch ich mich leistig verdingte,

 so glitschte seine fleischige Hand, eben die güldenengberingte

unter mein Kellnerinnenschurzröckchen und tatschte herum.

Um Fassung ringend erstarrte ich und blieb erstmal stumm,

floh doch alsbald voller Wut, Scham und Zorn hin zum Tresen.

Da wurde mir erklärt, das sei doch noch gar nichts gewesen.

Schon oft hatte er Mädchen bedrängt und sich angebiedert,

doch die meisten hätten seine Avancen nur zu gerne erwidert,

denn seinen Einfluß, Macht und Knete ließ er zu gern gelten.

Und dass ein Mädchen sich mal wehre, das sei äußerst selten.

Ich sölle einfach weiterbedienen und ein wenig mich beugen…

Zorn erflammte neu , solche Buhlworte und dieses vor Zeugen!

Ich verbarg meine Wut mühsam lächelnd, doch innendrin tobend,

was ihn natürlich freute, er flüsterte grinsend schmierlobend:

„Mai Mädcha, du bisch do aus däm Oschde, wie schee!

Könnde i di ned mol ganz vo naha sehn?

Man hörd ja viele Sacha übr eich Weiba vo drüba,

Na, komm do in der Bause oifach mol rübr .

Ihr seid zwar äwwl ebbes drambelich ond ungeschiggd,

abr i häd scho gern mol so eine …“

Kühlblütig notierte ich seine folgende Bestellung an Speisen,

der Hauptgang sollte sich alsbald als genau richtig erweisen,

ihm eine heißdeftige Lektion in Sachen Respekt anzutragen:

Ich ließ küchig nach einer Extraportion Rotweinsoße fragen.

Trug sie ihm balancierend an und tölpelte ganz klammheimlich.

Es folgte ein Aufschrei von ihm und ich rief: „Oh, wie peinlich!

Ihre schöne Erhebung zwischen den Beinen ist leider hinfort!“

Er humpelte schnaufend hochroten Kopfes gen Stillgeschäftort,

derweil das Lautlachen der Gäste umher mühsam nur verebbte.

Ich wandte mich zur Hochrotgattin: „Pardon, daß ich schweppte!

Doch manche kriegen einfach nie genug von allem, was sie reizt,

bis man ihnen diese Gier ordentlich heißrotweinsoßig einbeizt.“

Gäbe es hier eine Moral der Geschichte, müßte man sie nicht wieder und wieder neu erzählen. Ich wählte diese meine Reimform, anders hätte ich sie wohl nicht niederschreiben können, obwohl sie eine der harmlosesten Begegnungen mit dieser Art von „Männlichkeit“ ist. Auch das schlecht schwäbelnde Idiom ist selbstgewählt und keineswegs völlig erinnerungswahrhaftig.  Sexismus ist alltäglich, allerweltlich und beileibe nicht auf ein Geschlecht reduzierbar. Sexismus obliegt keinen Regeln. Wenn Sex von Liebe getrennt wird, egal aus welchen Gründen; gibt es nur zwei Möglichkeiten für die Betroffenen: Gegenleistung oder Gegenwehr. Egal, wie du dich entscheidest, die deine eigene Liebe wacht darüber.

Diese Verwegenen Verse bleiben unnumeriert, weil sie eigentlich keine sind. Und auch nur einen minimalen Einblick aufzeigen. Maximal hingegen sind die Aufblicke hin zu allen bonfortionösen Famosgesellen, die um den Wert der Liebe und ihrer körperlichen Kostbarkeit wissen. Danke, dass es euch so vielzahlig gibt. Nicht zu vergessen auch die vielen ebenso fühlenden Fabulöskapriziösen, zwei davon befeuerten diese Verse immens:

Die Silvesternachtgeschichte der Karfunkelfee und Ellas Blickwinkel zu diesem Thema, denn DIE gibt es wirklich nicht.

Und was nützt die Wahrheit in Gedanken?

Und was nützte die Wahrheit, wenn man sie nicht ausspräche? Es nicht wagte, sie in Worte zu kleiden, die womöglich kratzsilbig sind und somit durchaus irritierend zuweilen? Und falsch womöglich, weil irgendwer ja allergisch auf die Wahrheit reagierte. Erkläre mal dem Winterlamm sein achsokurzes Leben und daß die liebevoll gereichte Zusatzmilch seine letzte sein wird, weil hinterrücks schon die Messer gewetzt. Empfehle mal einem Wollallergiker ein kuschelsanftes Schafsfell, er wird zetermordioschreiend lieber nackend davon laufen, als sich damit einzuhüllen, egal wie frostig es da draußen ist. Und was nützt die Wahrheit einem hungrigen Wolfe, der genau dieses Schafsfell sich überstülpt um lammfromm zu erscheinen? Sein geblecktes Gebeiß und seine sprungbereiten Tatzen verraten ihn ohnehin. Was nützt dem friedlichruhendem Tann das alles überscheinende Mondenlicht, wenn unter ihm dann achzuviele Gedärme ausbluten und er statt vor Eisigkeit nunmehr vor Kummer ächzst? Was nützt die Wahrheit in Gedanken? Nichts. So dachte ich bisweilen. Doch ich verdachte mich. Was nützt die Wahrheit in Gedanken? Manche Wahrheit bleibt rein in einem selber drin, befeuert kein Lämmergeblöke, keine Besserwisserey und kein Zähnegefletsche. Der innere Tann bleibt still und friedvoll, wenn diese Wahrheit die Gedanken umtucht und nicht nach draußen getragen werden muß. Außer vielleicht in sachtem Quellen, porig aus Lid und Riss. Gereinigt, bereinigt gar durch das subkutane Aufrechtnetz, in dem die Wahrheit sich begradigt. Wahrheitstränen gibt es oft, die keines Besprechens mehr bedürfen, wir müssen sie nur erkennen. Und dürfen dann ganz stille mit ihnen weinen.

Frohrotkehlchenhaselmausfrostnotat

Schnee! Schnee! Schnee! Es schneit in Lipperlandien! Und taut! Und es friert! Das innere Rotwangenmädchen weißröckchensingt, schneeschlitterwalzert und wangenrötet schon seit Tagen liebvergnügt vor sich. Der Muff, letztwintrig sichtlich gelangweiltverstaubt tut freundlichkuschelige Dienste und die Fellschuhchen drücken ihr Profil unübersichtbar stolz in Schnee, Eis und Matsch. Abwechselnd, denn wenn es schneit im lieblichen Lipperland, dann taut es sogleich, um daraufhin knackekalt zu bizzelfrieren. Wir Menschenkinder stellen uns darauf ein, die einen motzmeckernd, die anderen tirijubilierend. Wenige andere. Ganz wenig andere. Ganz ganz wenige…

Zwei davon sind die famoseste aller Nachbarinnen und ich. Treffen uns morgens zum Schneeschippen bei den Häusern am Ende des Weges und lachen selbst über unsere Schneeverliebtheit und die seltsame Sucht, jeder einzelnen Schneeflocke eine Extrahuldigung zu erweisen. Erzählen uns gegenseitig von unserem Getue um die Wintervögel, die zwar allerorten mit Körnerfutter zugeschmissen werden und gerade bei Schnee und Frost aus ganz anderen Gründen unsere hauswarme Nähe suchen. Denn sie haben Durst. Deshalb befleißigen wir uns warmwasserig an den Vogeltränken.

Heute Morgen nun fielen endlich richtige Riesenzauberkristalle, die von der Sorte eines innigen Kalthimmelzungenkusses. Nur wer je mit seiner Zunge nach Schneeflocken haschte, weiß um diesen Wintergenuß. Natürlich standen wir zwei wieder beisammen wie Eissterntalermägdelein, statt in unser Unterzeug füllten wir die raren Winterschätze in unser Sinnen ein. Schippten, lachten und ließen jeden freien Millimeter unserer Gesichter beküssen. Mit jedem gelungenen Zungenkuß verjüngten wir uns, doch die Pflicht blieb erwachsen genug, um uns wieder nach drinnen eilen zu lassen.

Es ward fast Mittag, bis ich die meinen zuhausigen vergnügtbeschwingt erfüllte und die Uhr mich meiner außerhäusigen Verblumigungstermine mahnte. Jetzt noch eine Tasse Tee gänzlichst unbeschwert und dazu herzhafthungrig in mein Pausenbrot gebissen… ach! Ich stand terrassenfensterig und sowohl Stulle als auch Tee waren sogleich vergessen: Das Rotkehlchen zwitschte zwischen Futterhäuschen und Vogeltränken hin und her, knicksschwänzelte sichtlich aufgebracht. Die Tränken! Ich hatte mein Auftauritual vergessen!

Flugs holte ich das heißwasserig nach, das knackende Eis erzählte mir von seinen Flußbeherrschträumen, während das Rotkehlchen im sicheren Ahorn weiter wippte. Die Spatzenbande, naheibig im immergrünen Versteck fiel tschilpend in das Machhingetue ein, als es unter der igelquartierigen Altschubkarre plötzlich raschelte. Während ich noch um Nichtigeligkeit innerlich bettelte, schob sich eine schier vibrierende Pelznase aus dem Laubberg heraus. Die Haselmaus! Ich habe sie diesen Herbstwinter noch nicht gesehen! Behutsam schlich ich rückwärts ins Haus zurück, aber nur, um fensterbrettig ein paar Nüsse zu fassen und sie schubkarrig abzulegen.

Zeitchen später stand ich stullekauend und teenippend innenfensterig und war doch Teil einer der schönsten Mittagsbrotzeiten, die ich je mit anderen Geschöpfen teilte. Die viel zu zeitig streitenden Amselriche haben übrigens auch ihr Protzgetue für ein Weilchen vergessen und reihten sich in die Gesellschaft ein, natürlich total overdressed! Black Tie schon mittags! Und es schneite weiter…

Die schwere Leichtigkeit des blonden Steines

„Merde!“ Der Junge erhob sich unbeholfen fluchend und dennoch mit aller unterhäutigen Eleganz der uralten Kreaturen von seinem spitzsteinigen Stolperpfad. Bis dahin war er gerannt, als hätte er einen besonderen Schatz gefunden oder als griffen Dämonen nach seinem zartschwitzigem Nacken. Die wellenrundgetanzten Kiesel in Gestadenähe hatten ihn schnellfüßig werden lassen, doch in Sichtweite seines Elternhauses begannen die meeresaussortierten Steine sein Gerenne zu bremsen. ‚Elternhaus, da scheiß ich drauf!‘ Summend versuchte er seines Schmerzes Herr zu werden und schämte sich sofort für dieses Denken. Vielleicht nicht sein Elternhaus, er bekam nie Antworten auf seine quengelnden Fragen, ach, er kam ja nichtmal zum Quengeln; doch seine Mutter gab sich redlich Mühe. Seine Mutter? „Merdemerdemerde!“

In Gedanken schon wegen dieses Gefluchs und dem rissigfransigen Loches in der mühsam angesparten Hose um Vergebung bittend, striff ein weiterer Angsthauch seinen pulsenden Hals. Starr blickte er auf sein ebenso pulsendtropfendes Knie. ‚Was würde Vater sagen?‘ Der nächste Gedanke ließ ihn weichknieig wieder zu Boden sinken. ‚Was  würde Vater tun?‘ Wie gelähmt blieb er sitzen, die Dämmerung umhüllte ihn wie ein kaninchenfelliges Tuch und schier wollte er hier einfach verharren. Barg sein Gesicht auf den wunden Knieen und schluchzte rotzend auf. ‚Tränen für Mutter und Rotz für Vater…‘

Einer der hinterigen Steine unterbrach sein leidiges Sinnen. Glomm warm durch den schlissigen Stoff. Er verdrängte seinen Kummer einstweilen und auch sein dringliches Heimwärtsgeeile und tastete nach dem Rundkieselstein. Erinnerte sich an die nurwenigstundige Freude zuvor, als er Flachkiesel um Flachkiesel über die Wellen tanzen ließ und darob die Zeit vergaß. Bis er diesen einen in die Finger bekam. ‚Ein blonder Stein? Wie geht denn das?‘ So dachte er und fühlte dann die Leichtigkeit in seiner gewölbten Hand. Eine Leichtigkeit, die ihn nun wieder überkam in einer Intensität, die seinen gleichfalls blonden Wimpernvorhang zum sanften Senken zwang. Er barg den blonden fremdartigen Stein in den Händen und fühlte ein warmes Kosen, als striche eine mildsanfte Fingerkuppe seine noch feinen Lebenslinien entlang. Hinter seinen geschlossenen Lidern nahm ein heller Schatten Gestalt an, schien ihm zuzuwinken und breitete dann die Arme weit aus.

„Vic! Vic, wo bleibst du denn!?“ Die gellenden Rufe der Frau, die er Mama nennen sollte und bei der er nicht über eine Mutterbenamsung hinaus fühlen konnte, ließ die Gestalt jäh zerstieben. „Vic! Jetzt komm doch, der Vater kommt gleich vom Fischen zurück!“ Bei dem Wort ‚Vater‘ ließen ihn tausend Nadelstiche auf die Füße springen. „Merdemerdemerde!!!“ flüsterte er nur, doch seine weitere Antwort hallte wie die brechende Brandung als Vorbote des Tsunamis, der in ihm toste; gen geduckte Kate klippenwärts an: „Mutter! Ich werde keine Angst mehr haben! Wenn er noch einmal die Hand erhebt, ich schwöre, ab heute schlage ich zurück!“ Darauf entstand eine tosende Stille, wie nur kochendes Blut sie unterhäutig gebären kann. Aufrecht stand der schmale Junge, trotzig wie eine Küstenbirke und gegen den ahnbaren Sturm gefeit.

Mit dem sanftglimmenden Blondstein in der Hand entquoll seiner bebenden Kehle noch ein weiterer Ruf: „Und verdammt nochmal, ich heiße nicht Vic! Victor, ich bin Victor!!!“