Claras Chronik 12.01.2016
von Käthe Knobloch
Lieber Victor, ich vermag nicht mehr Ihnen zu schreiben, jedwedes Papier löst sich auf unterm Salzperlengetropfe, keinen Stift vermag meine welkmüde Zitterhand noch zu halten. Dieses wird mein letztes Notat an Sie sein, ich bin am Ende meiner Reise und doch nicht. Kalt der Bernstein, sein Glühen eine fahle Erinnerung an durchweinte Nächte, an bittere Tränen der heißquellenden Enttäuschung, wenn hinter der nächsten Kurve nur ein neuer Krummspitzsteinpfad sich schmerzbeschwörend offenbarte. Wie oft ich auch innehielt und unterhäutig lauschte, ich habe Sie verloren. Irgendwo hinter den gequerten Trostlostälern und Kargebenen. Ließ Sie zurück unter Duckangstbaumwäldern und dem Gekreisch der jagenden Meute. Und mit Ihnen verlor ich mich. Wenn ich Sie nicht finde, dort an diesem Ende meines nun letzten Pfades, da wo Schwarzkiesel unter meinen müdwunden Schorfsohlen kühlend sich meiner erbarmen und sanft anlandende Wellen endlich das Gekreisch der mich verfolgenden Mahre samtenweich übertönen, dann finde ich auch mich nicht mehr. Nie. Doch welche Richtung soll ich meinem geschundenen Körper noch aufzeigen? Wie weit kann dieses müdwehe Gerippe sich noch vorwärts mühen, bevor es sich endgültig dem letzten Schlafe ergibt. Ein Zeichen, Victor, ein Zeichen… Oh, ich törichtes Ding. Ein Zeichen von einem an den ich nicht mehr glauben mir zu erwüns…
Sehr geehrter Kollege, wir fanden diese Lettern bei der Patientin, von der ich Ihnen telephonisch berichtete. Vielleicht hilft Ihnen dies bei der Analyse. Sie ist unvermindert apathisch und ohne jedwede Erinnerung. Der hier erwähnte Bernstein könnte dieser Schwarzkiesel sein, den sie immer fest umklammert. Wenn wir diesen Victor ausfindig machen könnten, wäre vielleicht ein Fortschritt möglich. MfG Prof. Dr. Rettenfelder
oh…
…seufz…
<3
Stille. Ja, das ist an diesem Eck hier die Beschlagwortung, die es ziemlich genau trifft. Treffen doch auch die Zeilen; eine stille Ecke in einem Herzen.
Man lauscht in die stille Herzensecke hinein und hört doch nur den eignen Athem. Der allerdings tausend Antworten enthält. Und alle enden mit: Ja!
Oh, man weiß gar nicht, was man Clara nun wünschen soll. Weiter in der Apathie und eventuell Halt findend am Stein oder das Erwachen mit ungewissem Ausgang…
Spannend!
Liebe Grüße,
Silbia
Vielleicht braucht Clara diese Pause. Ich habe statt ihrer Victor gesehen und er war so ganz anders als gedacht…
Ich grüße herzlich zurück und sende Liebwünsche, die Ihre.
Hui. Diese Entwicklung hätte ich nicht erwartet. Wird Claras Geschichte weitergehen? Ach, was frage ich, eines jeden Geschichte geht weiter. Nur wie und wo, Herz, Kopf, Hand, Tastatur, das ist die Frage. Ich wünsche Clara ein Wiederfinden, ob nun Victor oder sich selbst.
Ein sehr guter Wunsch, meine Liebe. Danke dafür und ja, die Geschichte muß weitergehen. Clara stirbt nicht. Nie. Clara ist die unerschöpfliche Hoffnung.
Herzgrüße und alles Gute für Dich, Deine Käthe.
Wie es der Zufall so will, habe ich gerade ein Buch gelesen, an das mich diese Episode Claras frappierend erinnert: ein amerikanischer Neurochirurg erkrankt selbst an einer bakteriellen Meningitis, die sein Großhirn komplett ausschaltet, sieben Tage ist er im Koma und ab Tag vier gibt ihm niemand mehr eine Überlebenschance. Als er wieder aufwacht, erzählt er, was er in den sieben Tagen erlebt hat. Ich würde das mal so zusammenfassen: offensichtlich ist es manchmal nötig, dass jeder äußere Bernstein zu funkeln aufhört, um den Gedanken zulassen zu können, dass alles Äußere letztlich nur Symbol ist für das, auf was es deutet. Und das war in diesem Beispiel von einer Meningitis nicht kleinzukriegen!
Möge Clara eine ähnliche Erfahrung machen!
„…, um den Gedanken zulassen zu können, dass alles Äußere letztlich nur Symbol ist für das, auf was es deutet.“
Mein lieber Michael, danke für diesen formidablen Satz, Sie ahnen vermutlich, wie trefflich er ist.
Genau wie Ihr Beispiel des erkrankten Arztes, ich gänsehäutete eben beim Lesen.
Lassen wir Clara eine Weile in sich ruhen, vielleicht reist sie ja mal ein wenig alleine, ohne uns mit sich zu nehmen.
Liebe Grüße, Ihre Käthe, zugetan.
Tief berührend…
Danke mein lieber Tristan, mag Clara sich ein wenig erholen dürfen. Hoffentlich…
Herzlichst, die Ihre.
Das soll unser gemeinsamer Wunsc für Sie sein… Liebe Grüße in den heranschleichenden Abend hinein…
Nett. Wenn ich so sagen darf. Ein äußerst interessantes… Ende.
„Nett“ gehört zur Wortspezies der Halbseidenen, Unterart Ähemhusterer, mein Lieber.
Trefflich allerdings Ihr Punktpunktpunktende. Bin selber gespannt, wie es Clara weiterhin ergeht.
Herzlichst, die Ihre.
Deshalb, präventiv, die entschuldigende fragezeichenlose Frage. ;)
In der Obhut finanzgierender Anstaltsärzte ist ein Gesunden und Wiederaufdiefüßekommen äußerst fraglich. Welche Mittel gibt es gegen Apathie und Schorffüße, gegen Liebesverlust und dieses seelische Wundwaidsein denn schon. Da müssten Wunder geschehn! Wer weiß?
Es gab mal Zeiten, in denen Ärzte noch ihrem hippokratischem Eid folgten. Und Mensch blieben. Hoffen wir, daß meine Clara auf ihrer Zeitreise so welchen in die Arme fiel.
Und ich höre ja nie auf an Wunder zu glauben, weil jeden Tag tausende kleine Wunder geschehen, wir erkennen sie nur meist nie als solche.
Grüße von Wunderwortfrau zu Wunderwortfrau, weil wir wissen…