Ramsi betet heute nicht für mich

von Käthe Knobloch

„Kann nicht beten heute für dich.“ Seine nikotin- oderwasauchimmerverfärbten Finger umklammern den spendierten Pappbecher und lassen den Kaffee schier überschwappen. Unwillkürlich verlassen meine Augen seine und ich trete einen Schritt zurück. Die graue Jacke mit den umgekrempelten Ärmeln hockt mehr auf seinen Schultern, als daß er sie trägt. Die ehemals schwarzen Hosen beulen sich gräulich um seine Storchenbeine, die ohnehin viel zu fragil für sein schwer ausschlagendes Geschaukel erscheinen. Ramsi.

„Heute nicht. Dann wieder.“ Mein Blick wandert zurück von den abgetretenen Schuhen hinauf an der ganzen so queren Lumpenerscheinung, bis sein flackernder Blick mich zu bannen versucht. „Heute nicht beten, heute weinen.“ Ich zwinge meine Pupillen in sein Antlitz, lasse sie den zerfurchten Zügen folgen. Sie wundern sich noch über seine geschorenen Schwarzgraulocken und dann entdecke ich seinen Kummer. Er irrlichtert zwischen seinen bebenden Wimpern und hat sein eigentliches Augenweiß gelb verfärbt wie seine Fingerspitzen.

„Morgen. Du gehst wieder hier?“ Ich lese seine Frage eher in seinen schier morastigen Augen, als daß ich sie vernehme und nicke stumm. Nein, meine Augen müssen genickt haben, denn er wendet sich bannlösend ab und geht ein paar Schritte weiter. Bleibt an der Ecke stehen und vollführt von mir abgewandt seinen erst schulterigen Veitstanz, der dann seine ganze Krummheit offenbart und schließlich flehend seinen Kopf gen Himmel zucken läßt. Ich schaue ihm nach, die ganze Stadt steht für einen Moment still mit ihm und mir, so deucht es mich. ‚Prangertag‘ durchfährt es mich. Und ich frage mich, ob Ramsi deswegen heute nicht für mich beten kann und was ihn so bekümmert.

Als hätten ihn diese Gedanken umflort, dreht er sich zuckend zu mir um und stößt einen seiner seltsamen Kehllaute aus. Ein kurzes krächzendes „Cha!“. Es könnte ein Lachen sein. Oder die Bündelung aller seiner inneren Kämpfe, die nur so aus ihm herausgepresst werden können. In den Nachhall hinein ruft er mir zu: „Morgen, meine Blume, morgen ich bete für dich!“ Dann dreht er sich wieder weg und nimmt seine ewige Wanderung durch die Straßen der Stadt wieder auf. Ramsi, der Weltenlastträger, wie ich ihn nenne. Ich sende ihm stumme Bittgesänge hinterdrein und bilde mir ein, sein Buckelrücken begradige sich ein ganz klein wenig…