bittemito

Monat: Juni, 2016

Ohsanftschönsostarkhort

„Ohh…“ hauchte die schöne Frau neben mir auf dem Beifahrersitz in das einige Schweigen, nachdem wir uns die ganze bisherige Fahrt unsere Lebensverläufe gegenseitig umrissen hatten. Wir kannten uns nur wenige Tage, doch unsere Seelen müssen altbekannt sich sein. Es war nur eine herzlogische Entscheidung mit applaudierendem Bauchgefühl, sie auf diese spontane Landpartie zu der Heimlichen Königin der Weißen Stadt mitzunehmen. Ich wußte, sie würden sich mögen.

„Ohh…“ Dieses Ohh schwebte ein Zeitchen durch die Fahrerkabine wie ein sich selbst umarmendes Fragezeichen und setzte sich an der Windschutzscheibe fest. Gleich einem Sonnenkringel, der durch die tanzenden Blätter der Straßenrandbäume flirrt und die Sinne foppt. Ich nahm den Fuß vom Gaspedal und warf einen vorsichtigen Blick nach rechts. „Oh, mich hat gerade eine Biene gestochen.“ Ihre timbrierende Stimme war voller Schmerz. Ich ließ den Wagen auf der Standspur warnblinkend ausrollen.

„Ohh, das arme Tier.“ seufzte sie und hielt mir eine schmalgliedrige Hand entgegen, die von den Verdichtungen der malträtierten Gelenke geadelt wurde und  durch diese deutliche Zeichen den Grad ihrer Schmerzerträglichkeit skalierten. Zusätzlich zu dem auf einer Fingerkuppe hockendem Fleißinsekt, das einfach zur falschen Zeit am falschen Orte weilte. Vielleicht waren auch wir mit unserem Automobil diejenigen, die in den Lebensweg des Tierchens eingedrungen waren, so wie nun der Stachel durch die Haut dieser Schönen.

„Ohh, das tut mir so leid.“ lauteten die nächsten Hauchworte, als die Biene sich von ihr losriß und dabei in ihr eigenes Schicksal durch die nun offene Fensterscheibe davontaumelte. „Kannst du vielleicht den Stachel rausziehen? Meine rheumatischen Finger sind zu steif…“ Mit dieser Frage hielt sie mir ihre fragilstarke Hand hin. Ich zog flugs die Giftkanüle raus, ein sämiger Faden quoll weiter, gut sichtbar auf meinem schwarzen Rock. „Alles gut? Bist du allergisch?“ fragte ich. „Alles gut, aber die arme Biene…“

Oh, wenn alle mit viel kleineren zu schleppenden Päckchen nur ein minimales Quentchen Empathie von dieser starksanften Frau aufzuweisen hätten, die Welt wäre ein wahrlich liebevollerer Ort.

Für G.

Europa

Schön soll sie gewesen sein und reinen Geistes. Heute würden wir sie naiv nennen, vielleicht. Naiv im eigentlichen Sinne: Glaubend an die Wahrheit, an Ehrlichkeit und an Vertrauen. An die Leichtigkeit des Lebens und seine unabdingbare Schönheit. Getäuscht wurde sie durch Gier und Falschheit. Willige Helfer fanden sich, um diese reine klare Schönheit zu blenden, sie zu schänden. Europa. Deine Klarheit ist heute ebenso zu erkennen, verbindend ziehst du deine grenzenlosen Kreise. Trägst Frieden in dir und Wohlstand. Deine Kinder erfuhren damals Gnade und die gewährst du nun anderen. Doch wieder ziehst du die Gierigen an. Die nimmersatten Geilen, denen du hörig sein sollst und die dich einfach besitzen wollen. Die tarnen sich wie eh und je mit rundgeschliffenem Gehörn und weißen Westen. Nicht in deiner Familie sollst du bleiben, sondern ferne Lüste nähren. Europa, ich glaube an dich und deine ureigenen Kräfte. Schwimme selbst dich frei, statt auf die Rücken gehörnter Neider dich zu betten. Jede Küste, die du eigenkräftig erreichst könnte deine sein. Ganz die deine und die aller deiner Kinder. Uns und den anderen, die ohne Lüge sind. Und somit deine Kräfte mehren. Ich glaube mit aller Kraft an dich. Ganz die Deine.

Famoskulinarischfloralstadtlaufsurrogat

Neunzehn-dreißig, so stand es geschrieben. Da sollte die besondere Stadtführung beginnen. Hexen, Baderinnen und Hausweiber, historisch besilbt zu Fuß erkunden, da wollte ich unbedingt dabei sein. Und mit mir cirka zwanzig andere Frauenzimmer und zwo tapfere Mannsbilder. Nur eine fehlte: die Stadtführerin. Nach der diplomatischen Viertelstunde gaben die ersten wartenden erbost auf. Andere rückten mir auf den mehrlagig rockumfluffigten Leib. Blumen im Haar und den Regenhut an die Kramtasche karabiniert; sie hielten mich für die zögerliche ungetreue Begleiterin der nächsten anderthalb Stunden.

Lachend wehrte ich die Führungsavancen ab, erbat Geduld für noch ein Weilchen, es kommt ja jedem mal so schnell ein Zeitchen in die Pläne dazwischen. Dann waren wir nur noch zu siebent. Alle sechse Kurgäste, bedauernd traurig für diesen Verlust der achso wenigen Zeit zwischen Therapie, Schmerzbehandlung und Neugier auf diese pittoreske Stadt. Und ich hörte mich zu meinem eigenen Staunen einen floralkulinarischen Ersatzspaziergang anbieten. Die Begeisterung wuppte mir die aufkommenden Vollmeisengedanken schleunigst wieder weg.

Einfachdraufloslaufend erplauderte ich den sechs Gefolginnen meine ganz eigenen Lieblingswege, wies auf versteckte Biergärten hin und wo man tatsächlich frischen Fisch serviert bekommt. Kramte mein bißchen Wissen über alte Villen und deren Geschichte hervor und mußte bedauernd Schultern bei Nachfragen heben.  Erklärte den Zauber der Nebelkammer in der Saline bei gleichzeitigem Hinweis auf die Gefahr, die dunkle Stille so in sich birgt oder offenbarte meine liebste Beenebaumelbachstelle. Floraldiente mein Wissen ob der bonfortionösen Stadtbepflanzungen an und verriet das unterirdische Geheimniss des eingesperrten Flusses.

Schlußendlich öffnete ich sogar noch das Tor zum bonfortionösen Hinterhofe, beseelt von dieser immer noch unglaublichen Freude, dieses einfach so zu können. Mein Gang hat zwo Anfänge und ich kann sie vorwärts und rückwärts gehen. In der nebendrannigen Kneipe orderte ich flugs ein paar Getränke, bestuhlte den abendverträumten Hinterhof und die nächste halbe Stunde ließ sieben Fremde dann kichernd und querredend für einen irrlangen Moment beste Freundinnen werden. Es sei die beste Nichtstadtführung gewesen, an der sie je teilnahm, erklärte eine und mich bestolzbolleriente ein ganz neues Glück.

Junipupillenkussjustruhepulsstilljubelgruss

Der Juni pulst flugsvibrierend durch meine Adern, beschleunigt Tagwerk und privates Getue. Der Regen ist wie immer mein Freund, erleichtert mir die Draußenpflichten wie die florale Kür. Im Wissen um seine Gefährlichkeit bei Überdruße danke ich für sein hiesiges stilles Sein. Für alle Dioptrienflanierer hinterlege ich Pupillenpralines aus dem bonfortionösen Hinterhofe und meine herzlichsten leisjubelierende Grüße.

Wenn Geschichten noch nicht zu Ende erzählt sind…

Dann stehst du plötzlich in einem dir gänzlich fremden Leben…

Und dann stehst du plötzlich wie erstarrt in einem der vielen zumindest für dich anonymen Kranken- oder Altersheimzimmer. Blumenauslieferungsroutine. Eigentlich. Nicht an diesem Samstag, der ohnehin schon fordernd war. Diese Auslieferung ist die letzte für heute, deinen Feierabend hast du dir redlich verdient. Dennoch tropfen sich Bilder in deine Pupillen. Bilder, aufgehängt an feinziselierten Messinghäkchen. Ein Porträt, du hast ein ähnliches schonmal gesehen. Das ganze Zimmer hat eine unüblich stilvolle Ausstrahlung und das Bett wirkt wie eben frisch bezogen und auf ein müdes Menschenkind wartend. Wenn nicht bereits eines darin läge. Kaum wölbt sich das Oberbett und auf dem reinweissen Kopfkissen liegt halblanges Schlohhaar wie hindrapiert. Dann vernimmst du auch das Flüstern. Ein kurzes Innehalten durchflutet dich, schwarze Haare, schwarzes Langkleid, willst du wirklich so in Erscheinung treten, da kniest du schon neben dem tief abgesenktem Pflegebett. Auf der schmalen Fensterseite, das Menschenkind liegt seitlich und schaut dich trübpupillig an. Du ahnst mehr die Fragen, als dass du sie vernimmst und erklärst dich und deine hiesige Aufgabe. Verstehend oder vielleicht nur müde senkt sich ein wimpernloser Vorhang über die blassgrünen Augen. Dann verändert sich der Athem. Schläft sie oder will sie gehen? Du weißt es nicht und mahnst dich dringlich deines eben Gesagtem. Blumen ins Wasser. Suchst leise flüsterfüßig nach einer Vase, dieses Appartment ist gut ausgestattet; du findest eine extra hohe. Sie müßte so nur die Augen öffnen und könnte selbst aus ihrer Position heraus die prunkvollen Gartenblumen sehen. Kniest dich wieder an ihre Seite und ein gilbes Müdlächeln ist ein erster Lohn. Die Augen indess blassen in ferne Welten. Geflüsterte Fragmente ergeben keinen Sinn, nicht für dich, aber wohl für die in ihrer Zerbrechlichkeit wunderschönen Greisin. Eine wächserne Hand schiebt sich aus dem umhüllenden Stoffe und sucht nach Halt. Der schwere Silberring am vorletzten Fingerchen ist wie ein Statement, wie ein Aufbegehren und das letzte Puzzleteilchen, das sich in deine Sinne senkt: Du warst in ihrem Haus, hast eines ihrer Tanzkleider bekommen, der Fedora ihres Mannes behütet dich schon längerzeitig und an der Stehlampe deines Schreibpultes wacht dieser kleine metallne Schmetterling.

Wenn Geschichten noch nicht zu Ende erzählt sind… dann mußt du noch ein Weilchen bleiben. Und zuhören, auch wenn du zunächst glaubst es nicht zu verstehen…