Platanenblattraschelpedalenballade
Der Schreck streift nur kurz meine Sinne, in der Gleichtönigkeit des unerwarteten Geräusches ist eine Sicherheit geborgen, deren Ursprung in jubelvollen Kindertagen zu finden sein muß. Zumindest steigt mir eine derartige Ahnung auf. Ich bremse behutsam das eben erst zwodreifach anpedalte Velo ab, das raschelnde Rattern periodisiert gleichsam. Im fast dampfenden Lichtkegel der nächsten Straßenlampe zeichnet sich der unerwartete Beifahrer ab: Ein Blatt einer der Stadtplatanen hat sich in den Speichen meines Vorderrades gebettet, um vielleicht so den Stürmen zu entgehen, die es verwirbelnd durch die nassen Gassen treiben wollten.
Die meisten Bäume dieser Stadt haben Glück, etliche Wasser liegen ihnen zu Füßen. Gebändigt von Menschenhand ist deren sichtbarer Teil, da wo es vergnüglich murmelt und manchmal sogar betäubend rauscht. Was unterirdisch sickert und tropft, es mag ein segensreiches Geheimnis der Bäume bleiben. Stammaufwärts sind sie oft nackt und bloß dahingestellt in Quadrate aus geschnittenem Stein, dienen als Kloake und vierzehntägig prima zum Anlehnen unserer Plastiksäcke voller Wohlstandmüll. Manchmal werden sie so arg verschnitten, daß jedem fühlenden Wesen bei ihrem Anblick das Augenwasser aufquillt. Und doch folgen sie jedjährig dem naturgegebenen Takt.
Jetzt im Gilbhart ziehen sie ihre Kraft in sich zurück. Lassen vorher noch ihre Lebensnetze durch die Straßen tanzen und foppen aufwirbelnd die unter Schirmen geduckt hastenden Menschen. Ein Lächeln wölbt meine Mundwinkel. So lasse ich mich gerne zum Tanze verführen. Tippe mir kurz an den Regenhut und dann steige ich wieder auf. Das Velo behält seine Platanenballade, ich quere die urbane Langeweile lautstark lächelnd und weiche keinem anwehendem Notenblatt aus. Im nassen Zwielicht äugen Rindengesichter zum Geraschel hin und ich kann sie tatsächlich mitlächeln sehen unter all ihrer Borkigkeit.
Und dann wird meine anfängliche Ahnung zum leuchtenden Bild: Den Schloßberg hinab ins Dorf zurück, ein ganzer Pulk heißwangiger Täve Schurs den schmalen Knabenhintern hoch überm Sattel wackelnd. Ein paar Indianer auch auf wildschnellen Mustangs, Prinzessinnen mit wehendem Schleier, die irgendeiner Hexe fliehen. Andere ducken sich schwer auf den Tank ihrer Maschine und kuppeln, schalten, geben lautstark Gas. Eine ganze Bande Kinderlachen, denen gerade die Phantasie die Räder wirbeln läßt. Und über allem ein raschelndes Rattern… Bierdeckel, die wir in die Speichen klemmten, sie waren begleitender Jubelton. Mein Platanenblatt ist mir für einen glücklich langen Moment eine klingende Impression.
Nichts ist umsonst. Kein Erleben und keine Erinnerung. Wir sind auf dem Weg zu uns hin, lernen loszulassen und häuten uns jährlich, um uns neu zu finden.