bittemito

Tag: Wut

Vor einem Jahr ~~~ Januar

Die Menschenmasse war schier unüberschaubar, doch wir durften dank unserer lange vorher gebuchten Tickets an der zischenden und sich windenden Schlange vorbei. Privileg der Ahnungslosen, das wir hatten. Drinnen tobten bereits spürbar die Vorboten der apokalyptischen Vier, nun waren wir unleugbar ein Teil davon. Aber das ahnten wir nur vage. Gingen instinktiv gegen die massiven Ströme, nahmen andere Wege. Durften exclusive Augenblicke genießen und wähnten uns in lässiger Sicherheit. Doch die Erkenntnis tobte unter unserer Haut: Diese Massen, das Gedränge, die knipsende Begierde nach dem schnellen Kick im Klick; das kann nicht mehr lange gut gehen. Viele der Menschen sahen nicht hin, sie wollten gesehen werden. Wir verließen diesen Reigen schnell. Van Gogh to go. So gut gemacht und so unfassbar missverstanden.

Wieviel Tränen wohnen in einem einzelnen Blick?

Städel Frankfurt Ausstellung Van Gogh Januar 2020

Mama Löwenherz zürnt mit Bedacht

Kind, liebes, was sagst du denn zur Wahl? Ja, ich suche auch nach Antworten. Hier bei Görlitz ist es ja ganz schlimm. Das hätte ich nie gedacht. Damals, nach der Wende, da haben wir erstmal alles geglaubt. Und mußten uns durchwurschteln, naja wie immer eigentlich. Aber das Dorf hier steht doch inzwischen gut da. Wir sind doch nicht die abgehängten, enttäuschten Ossis, von denen jetzt alle am rechten Rand stehen sollen. Nee, ich habe die nicht gewählt. Wie? Klar kenne ich ein paar. Die über dreißig Prozent müssen ja irgendwo herkommen. Was? Neee, denen gehts allen gut. Letzthin noch mit dem Eberhard gesprochen, der kriegt jetzt Vielfliegerbonus. Ganz stolz isser auch auf seinen neuen Suff. Lach nicht, die Ungetüme von Autos heißen doch so. Weilse soviel saufen, daß Beschiss vonner Fabrik her betrieben werden muß. Ab Werk. Wie? Hihi, genau, Manufaktur heißt das ja hochtrabend jetzt. Unzufrieden isser trotzdem. Fährt nach Polen zum Tanken und Einkaufen und meckert, daß sich das kaum noch lohnt, seitdem die Pollaken inner Eurozone sind. Sachter so. Und damit isser nich alleine. Obwohl der hiesige Bürgermeester sonen guten Stand hat. Im Gewerbegebiet sind nu alle Flächen vergeben. Und Brüderchen und Schwesterchen mußten wieder aufstocken. Was sachste? Klar, da warste och schon inner Kinderkrippe, die gibts immer noch und ist beliebt bei den jungen Leuten. Sicher müssense zum Arbeiten heute weiter fahren als wie früher, aber scheen zum Leben isses hier. Eingekooft wird eh im Internetz, die Dorfstraßen sind fast zu kleene für die breiten Zustellautos vonner Post und wer da noch so alles Pakete rumfährt… Wie bitte? Ausländer? Hör uff! Die paar fallen kaum auf und die Kaufkraft der schnieken Polinnen ist ja schließlich auch willkommen. Oder der Dönermann. Oder der vietnamesische Gemüsehändler. Oder… Was? Klar ist wieder Kirmes am Wochenende. Mit Eintrittsgeld. Und für fünfundzwanzig Euro sogar mit Essen von sonem neumodischen Grill. Der Vorverkauf brummt, sagt die Edeltraut. Schlagerabend. Naja. Kicher nich so, ist immerhin noch besser als die unsäglichen Oktoberfeste allerorten. Obwohl, so wahltechnisch sind wir Ossis ja nu mit den Bayern gemein…

Schön, dasste nu wieder lachst und ich mit. Könnte einem ja echt manchmal vergehen. Ja, wir sehen uns dann. Bis dahin und… ich hab dich lieb.

Die Netze werden dichter gesponnen

Was uns draußen mit leiser Melancholie erfreut und von Reifung und willkommender Ruhe sachte kündet, scheint sich im politischen Herbste anders zu verdichten. Klebrige Populismusfäden werden wild versponnen und fischen üppig im Trüben. Vermeintliche Retter überschütten uns mit hohlen Mustern und fressen sich fett an unserer naiven Dummheit. Die eigentlichen Fädenzieher augenweiden sich an unserem hilflosen Gezappel, wenn die Schlingen sich fester ziehen. Und wenn wir so wild und blind um uns schlagen, treffen wir nur die, die mit uns auf diesen Leim gegangen sind. So fein sind die Gespinste der Intrigen und Lügen, sie sind als Falle kaum zu erkennen. Bereitwillig lassen wir uns ködern und nur zu gerne fallen. In Netze, die Sicherheit suggerieren sollen und doch nichts anderes sind, als klebrige, modrige, veraltete Raster. Es ist Herbst geworden, ein Herbst mit braunem Getön, wo doch ein leuchtendes Rot hätte prangen können. Doch wer im Netze zappelt, verliert wohl seinen Durchblick. Dient als fette Beute und nährt so die, die ihn umgarnen. Die Netze, sie werden immer dichter gesponnen.

Von der abnehmenden Wärme in Zeiten des steigenden Lichtes

Immer greller blinken die künstlichen Lichter, werben schlimm schreiend um Achtung und Aufmerksamkeit. Schwer ist es, sich in diesem fast stroboskopischen Augengelärme zu orientieren. Konsum als Flucht vor dem Besinnen des wirklichen Waageguts jener, denen der Ölzweig näher als das Schwert ist, um so weiter Justitias Mutter zu huldigen.

Gerechtigkeit und Billigkeit, deren Mißbrauch türmt sich hoch hinauf und fordert nur scheinbar einen Ausgleich. Ein anderer wird schon tun, was ich versäumte, ein nächster wird vielleicht meine Schuld begleichen und meine Würde ist eh unantastbar. Was so fest geschrieben steht, kann leicht mit den Füßen getreten werden.

Innerstes deucht nicht des Zusammenfegens würdig und wenn schon Scherben, was solls, mag sie ein anderer bereinigen. Das ureigene Tun ersäuft mitunter in Selbstmitleid und trübt süßwasserig den Blick. Wer Gutes will, meint oft nur das Gut des anderen. In diesem Glashaus sitzen wir nicht allein. Weder du noch ich.

Die scheinbare Ordnung ist bröckelnde Fassade, hinter deren häßlicher Fratze der Egoismus seine gilben Zähne fletscht. Die Demarkationslinien des Denkens verkommen zu Niemandsland, in dem das Chaos eisig lodernde Feuer entfacht und seinen blendenden Irrsinn hegt.

Diese Lichter steigen zwischenzeitlich weiter und bringen doch nichts als zunehmende Kälte mit.

Dünkelmarktdungtümmelgetue

Ein Hund zerkläfft die unwirkliche Stille der anrainenden Straße. Die unüberhörbare Wut könnte aus kleiner Kehle und großem Frust entspringen. Statt seiner umlauern unweit entmenschte Gestalten Baumkadaver, deren einst betörender Lebensduft nur seinesgleichen zum Markieren des Gewohntreviers nutzdiente. Sie sind nur ein paar Schritte entfernt, diese benikolausten Spaßmützenträger und pelzbehalsten Industrieplörreschlürfer. Umlagern pseudoanheimelnde Fressbuden, frevelzerranschen die wenige vernünftige Ware und verderben dadurch jedem kleinen Kunsthandwerker die Lust an vernünftiger Präsentation. Geschweige denn eine erträgliche Kalkulation.

Einer davon war der alte Fellhändler. Mein schönes Schwarzhammelgewuschel beduftflüstert mich Zeitchen schon. Letztes Jahr zuckachselte er auf meine Frage nach Wiederkehr, nun steht ein anderer, kleiner sortierter Händler an seinem Platze. Keines der angebotenden Schaffelle mag mich beschmeicheln, auch deuchen mich die Preise nicht wirklich angemessen, wobei ich es tatsächlich verstehe. Horrende Standgebühren und Verluste durch dämliche Grapscher müssen irgendwie ausgeglichen werden. Beispiel gefällig? Ein gerade noch bratwurstmampfender Möchtegernspaßvogel setzte sich eine der annoncierten Fellwerke auf das leicht schmierig erscheinende Haupt und verkündete den umstehenden Dösigglotzern, daß er nun diese Mütze billiger erhalte, denn sie sei ja gebraucht. Schenkelklopfer, ey! Von der schräg anrainenden stinkenden und dicht umlagerten Frittenschmiede in launigem Alpenlook ertönt gröhlig umprusteter Applaus.

Diese holzzombiös zusammengetackerten Hütten machen mich ohnehin kehlwütig, ich möchte fast ausspeien vor solchem pseudoheimeligen Getue und derartige Mißachtung erhöht mein Kübelpotential ungemein. Meine kleine Kehle widerspenstigt sich jedoch dem allgemeinen Frust. Der sich senkende Blick erbarmt sich und bittet um Gnade für alle diejenigen, denen selbst die häckselige Spreu unter der Krippenszenerie nicht heilig genug erscheint. Kotzt doch auf alles, was euch noch niederer dünkt. Dung und Dünkel, es gibt einen wesentlichen Unterschied. Der vermutlich kleine Hund und ich sind uns jedenfalls einig: Eine gepflegte Angepisstheit erscheint uns trefflicher. Hiermit passiert. Bitte achten Sie auf Spritzer, meine innere Furie gibt keine Dünkelmarktgetuedunggarantie.