Mehr als ich je ich war

von Käthe Knobloch

Die famose Frau Bukowski erzählt eine ihrer bezaubernden Alltagsgeschichten und erinnert mich an eine Begegnung, deren seltsame Magie bis heute in mir ruht. Und weil die tolle Frau Auwald vor einiger Zeit überaus wichtige Fragen stellte, muß diese Begegnung aufnotatiert werden. Was Sie frug? Bitte hier nachlesen und manche Frage selbst beantworten:

„Ich will von deiner Reise erfahren.

„Hattest du Zeit?

Als wer bist du gegangen?

Als wer bist du zurückgekommen?

In dieser Sekunde weiß ich alles.“

Das kleine Hotel mitsamt seinem Minibespaßungsbetrieb ruhte morgenstundig, als müsse es die Trägheit der Nacht noch ein wenig in sich aufnehmen, bevor der Speisesaal mit Geschirrgeklapper und Fremdsprachgeplapper sich füllte. Der Pool lag stillschimmernd ohne Kreischgewelle und Planschgelärme, die Bar hielt noch ihre später glasfüllendlärmende Klappe. Schon am ersten Morgen hatte ich bei meinem Dämmerungsgelaufe die kleine Pforte entdeckt, die ein Mauseloch in dem ansonsten abgeschlossenen Komplex war. Zu Recht abgeschlossen, wie uns bei der Ankunft radebrechend versichert wurde. Kalabrien sei nunmal nicht ganz ohne. Doch hinter der Pforte, da war das Meer. Ein Steingestade, dessen Verlockung ich nicht widerstehen konnte. Die Doc’s an den Füßen, am Leibe nichts als das Hauskleid drückte ich mich durch die mit Bougainvillea halb verdeckte Tür. Meine Füße rannten stets die ersten Meter von ganz allein, sprangen von Stein zu Stein, als müßten sie das Gefühl des Eingeschlossenseins abschütteln. Die Wildklippküste zog sich mit einem sanften Bogen hin und am großen Felsbrocken, den ich geradeso noch erklimmen konnte, da wußte ich mich außerhalb der scheinbar Ausschau haltenden Fensteraugen. Welch‘ törichte Einbildung, die zumtiefschlafbespaßten Pauschalreisenden schliefen alkoholbedämmert in einen neuen Allyoucandrinktag hinein. Bereits am ersten Tag dachte ich, daß diese Reise eine Fehlentscheidung war. Aber da kannte ich ihn noch nicht. Ich weiß nicht, ob und wie lange er mich beobachtet hatte. Stand plötzlich einfach da und schaute zu mir auf dem Felsen hoch. Unter wildweißen Augenbrauen ein prüfender Tiefblaublick, umfältet von sich verstärkenden Linien, als ich ruhig seinen Blick erwiderte. Die stolze Haltung verlor an Spannung, es war, als konnte er mit dem ganzen Körper lächeln. Zeigte auf sich und zu mir hinauf. Auf mein Nicken erklomm er geschickt den Fels und hockte sich schweigend neben mich. Da saßen wir. Ich, blaßglattblauhäutig von der Morgenkühle in meinem Fetzchenkleide und er, braunledrig mit Narben und Falten nur mit einer kurzen Hose bekleidet. Ich konnte seine Wärme spüren und ohne, daß wir uns berührten, wurde auch mir warm. Wir schauten auf die Brandung, die sich über die Felsen heranbrüllte und auf ihrem Rücken den Sonnenaufgang trug. Und das taten wir jeden Tag. Schauten und schwiegen. Ab und an ein Lächeln, ein wissendes Nicken. Es waren diese Morgenstunden, die diese Reise lohnenswert machten. Sogar mehr als das. Am Tag meiner Abreise rannte ich vielleicht etwas schneller zum Felsen hin, war mein Atem vielleicht noch etwas außerpustiger oder er spürte meine Unsicherheit, wie ich mich verabschieden sollte, wie ihm sagen, daß ich wegfliegen mußte. Sein ruhiger Blick lag auf mir und seine Arme hoben und senkten sich, wie der Flügelschlag eines Seevogels. Wieder nickte ich nur stumm und er legte sich meine rechte Hand auf die Brust. Nie vergesse ich das sanftstarke Klopfen, es hat mir später noch oft den Atem gebändigt, wenn ich mir die Hand auf die eigene Brust legte. Es ist, als trüge ich ihn dann in mir. Ich bin als ich zu dieser Reise aufgebrochen und kam als ich zurück. Mehr als ich je ich war.