Wenn Clara tanzt…

von Käthe Knobloch

„Scheißescheißescheiße…“ Claras Flüche verebbten sachte in der schwülen Julinacht während drinnen hitzige Bassläufe und geprügelte Schlagfelle gegen den Krach der tanzwütigen Horde fluteten. Ihr letztes „Schhhh…“ verblieb als Schatten in ihrem Mundwinkel und formte sich unverhofft zu einem „Sch.. schön. Na schön…“ Sie vergaß ihre Gehhilfe und humpelte dem Lärm entgegen.

Sie hatte unzählige Tanztees erduldet, war vor so benamsten Zumbagehupfe von dannen gehumpelt und glaubte inzwischen nicht mal mehr den scheel lächelnden Duttmadamen, die mit Hilfe komplizierter Notensprünge ihre Füße malträtierten. Und ihre Knöchel, Schienbeine, Kniee und verdammtnochmal auch alle diese Bänder, Sehnen, Faszien, sie wollten einfach nicht gehorchen. Sie hatte einst getanzt, verfluchte Hacke, und wie sie getanzt hatte! Keine einstudierten exakten Steifbewegungen, es war mehr als spürte sie die Noten subkutan in sich fließen. Sie hatte die Musikke im Schneewittchenarsch, zumindest lautete so die derbliebe Einschätzung eines früheren Zeitchenbegleiters. Jetzt war alles nur noch Schmerz und Steifheit und ihre Bewegungen erschienen ihr krampfig und ungelenk. Und je mehr sie darüber nachdachte, umso tiefer furchte sich dieser Kummer um ihre Lippen.

„Heyhey, kein Ärger lohnt so finsteren Blick. Willste ’nen Schluck?“ In ihr Blickfeld schob sich eine Pulle Sekt dessen darbietende tätowierte und beringte Hand zu einem beindruckenden Punk gehörte. Ein warm leuchtender brauner Stein in dickes Silber gebettet prangte am Mittelfinger und schien die Wurzel eines tintigen Geflechtes zu sein, das sich in V-Form über den Handrücken zog. „Bier wäre mir lieber.“ Ihre Patzigkeit schien den Buntvogel nicht weiter zu stören. Und auch nicht ihre verkrückte Einschränkung, denn seine flapsige Antwort folgte im Weggehen: „Mußte mit rinkommen, drinne gibts hopfige Ambrosia und urste Mugge…“ „Hey! Warte! Ich kenne doch niemanden in dem Schuppen! Außerdem bin ich zu alt für den Scheiß! Warte!“ Sein rauhes Lachen mitsamt der über die Schulter geworfenen Offerte goss sich lavagleich durch ihr erstarrtes Sinnen. „Alter ist relativ. Und jetzt kennste mich, frag einfach nach Victor…“

„Na schön!“ Sie hatte noch nie zu solcher Musik getanzt und doch war es, als brächten sich die Töne zu ihr zurück. Und Clara tanzte.