Vom Singen fast vergessener Lieder

von Käthe Knobloch

Die alten Schatten machen sich lang im Herbst. Und mit ihnen mein Sinnen. Gefühle kann man nicht widerrufen, sie zu spiegeln, das wäre ein wahrhaft reiches Unterfangen. Wie die klitzekleinen Flöhe aus dem Hühnerstalle, wo der Frieden unter weichem Gefieder und in glucksendem Nachtgeplauder wohnte; springen mich Erinnerungsdötzchen an. Der saure Duft von eingeweichtem alten Brote und der feine puderige Korngeruch, wenn man das Futter mischte. Die körperwarmen Eier in den Kinderhänden, behutsam unter dem fiedrigen Bauche wegstiebitzt. Ominkels Lächeln in den Augenfältchen, wenn ich scheinbar fleißiger beim Einsammeln war. Ab und an ein Staunaugen verursachendes weiches Fließei, rares Kleinod ohne den kalkweißen Schutz. Das raschelnde Stroh beherbergte das Gold des vergangenen Sommers.

Das immer zeitigere Verschließen der ebenerdigen Hühnerluken im sich neigenden Jahr und das vorherige Absuchen der tiefästigen knorrigen Apfelbäume auf der ganzen Hühnerhalbinsel nach Emma. Immer hieß das Huhn Emma, welches freiheitsliebend mehr hüpfend als fliegend einen Baum als Schlafstatt erkor. Und welches dann unter empörten Gekreische das weitere Stutzen der Flügel über sich ergehen lassen mußte. Eines Nachts dann doch Aufruhr im Stalle. Ich hatte wohl überm Spielen die Hühnerluken vergessen. Der Fuchs nutzte seine Chance. Das Entsetzen ob des Gemetzels mischte sich mit tief empfundener Schuld. Die Wucht dieser Empfindung schattiert noch heute meine Erwachsenenhaut.

Die alten Schatten machen sich lang im Herbst. Doch bange machen sie mich nicht. Ich brauche meine Schatten, um zu erkennen, wer ich bin. Tief in den Wassern ruht die Vergebung und ich singe gerne die fast vergessenen Lieder.