Die schwere Leichtigkeit des blonden Steines
von Käthe Knobloch
„Merde!“ Der Junge erhob sich unbeholfen fluchend und dennoch mit aller unterhäutigen Eleganz der uralten Kreaturen von seinem spitzsteinigen Stolperpfad. Bis dahin war er gerannt, als hätte er einen besonderen Schatz gefunden oder als griffen Dämonen nach seinem zartschwitzigem Nacken. Die wellenrundgetanzten Kiesel in Gestadenähe hatten ihn schnellfüßig werden lassen, doch in Sichtweite seines Elternhauses begannen die meeresaussortierten Steine sein Gerenne zu bremsen. ‚Elternhaus, da scheiß ich drauf!‘ Summend versuchte er seines Schmerzes Herr zu werden und schämte sich sofort für dieses Denken. Vielleicht nicht sein Elternhaus, er bekam nie Antworten auf seine quengelnden Fragen, ach, er kam ja nichtmal zum Quengeln; doch seine Mutter gab sich redlich Mühe. Seine Mutter? „Merdemerdemerde!“
In Gedanken schon wegen dieses Gefluchs und dem rissigfransigen Loches in der mühsam angesparten Hose um Vergebung bittend, striff ein weiterer Angsthauch seinen pulsenden Hals. Starr blickte er auf sein ebenso pulsendtropfendes Knie. ‚Was würde Vater sagen?‘ Der nächste Gedanke ließ ihn weichknieig wieder zu Boden sinken. ‚Was würde Vater tun?‘ Wie gelähmt blieb er sitzen, die Dämmerung umhüllte ihn wie ein kaninchenfelliges Tuch und schier wollte er hier einfach verharren. Barg sein Gesicht auf den wunden Knieen und schluchzte rotzend auf. ‚Tränen für Mutter und Rotz für Vater…‘
Einer der hinterigen Steine unterbrach sein leidiges Sinnen. Glomm warm durch den schlissigen Stoff. Er verdrängte seinen Kummer einstweilen und auch sein dringliches Heimwärtsgeeile und tastete nach dem Rundkieselstein. Erinnerte sich an die nurwenigstundige Freude zuvor, als er Flachkiesel um Flachkiesel über die Wellen tanzen ließ und darob die Zeit vergaß. Bis er diesen einen in die Finger bekam. ‚Ein blonder Stein? Wie geht denn das?‘ So dachte er und fühlte dann die Leichtigkeit in seiner gewölbten Hand. Eine Leichtigkeit, die ihn nun wieder überkam in einer Intensität, die seinen gleichfalls blonden Wimpernvorhang zum sanften Senken zwang. Er barg den blonden fremdartigen Stein in den Händen und fühlte ein warmes Kosen, als striche eine mildsanfte Fingerkuppe seine noch feinen Lebenslinien entlang. Hinter seinen geschlossenen Lidern nahm ein heller Schatten Gestalt an, schien ihm zuzuwinken und breitete dann die Arme weit aus.
„Vic! Vic, wo bleibst du denn!?“ Die gellenden Rufe der Frau, die er Mama nennen sollte und bei der er nicht über eine Mutterbenamsung hinaus fühlen konnte, ließ die Gestalt jäh zerstieben. „Vic! Jetzt komm doch, der Vater kommt gleich vom Fischen zurück!“ Bei dem Wort ‚Vater‘ ließen ihn tausend Nadelstiche auf die Füße springen. „Merdemerdemerde!!!“ flüsterte er nur, doch seine weitere Antwort hallte wie die brechende Brandung als Vorbote des Tsunamis, der in ihm toste; gen geduckte Kate klippenwärts an: „Mutter! Ich werde keine Angst mehr haben! Wenn er noch einmal die Hand erhebt, ich schwöre, ab heute schlage ich zurück!“ Darauf entstand eine tosende Stille, wie nur kochendes Blut sie unterhäutig gebären kann. Aufrecht stand der schmale Junge, trotzig wie eine Küstenbirke und gegen den ahnbaren Sturm gefeit.
Mit dem sanftglimmenden Blondstein in der Hand entquoll seiner bebenden Kehle noch ein weiterer Ruf: „Und verdammt nochmal, ich heiße nicht Vic! Victor, ich bin Victor!!!“
Ich mag diese Geschichte sehr und ich freue mich, dass sie weitergeht. Manche Haltung entsteht durch die Erlebnisse in der Kindheit, bringen alles Folgende in eine neue andere Richtung oder aus der Spur. Etwas kann so stark einwirken als stumpfe Gewalt, dass etwas zerbricht. Andere Haltungen wachsen, reifen in die Ernte des künftigen Tuns.
Ich dachte heute oft an Sie in diesem Winterweiß und in der kalten klaren Luft der Duft frisch gefallenen Schnees. Er hat alles um sich herum mit Stille bedeckt.
Lassen Sie es sich gutgehen.
Liebste Grüße von Ihrer Karfunkeligen✨
Die Erntereife des künftigen Tuns…
Ich kann nur andeuten, was es mir bedeutet, aber ich spüre Ihr Verständnis über Kamm und Knapp hinüber, meine liebe Karfunkelige.
Danke dafür und andernorts wurde schon vieles geschrieben, ich verschenkte meinen Schneefreusonntag ohne Reue an Treppabtreppaufgetrappel, mich deucht es fast, ich trepptrappelte auch für Sie mit, weil Sie gerade nicht so können. Dafür können Sie was anderes: Schreiben! Bitte schreiben Sie weiter!
Liebe Grüße zurück, immer die Ihre.
Victor? Victor? – – ! : Meine liebe Clara? – – ääh, meine liebe Frau Knobloch, sollte ich jetzt an die nächstzuerreichende Wasserfläche eilen, um Ihnen einen Flachkiesel gen Lipperlandien flitschspritztanzen zu lassen? Ihr Herr Ärmel (kieselsuchendzugeneigt)
Immer! Immer, mein lieber Herr Ärmel! Ich liebe das liebliche Lipperlandien, doch etwas fehlt ganz gewiß: Flitschspritztanzflachkieselsteine sowie nächstzuerreichendes Gewässer. Dafür habe ich hier Murmelflüsterzutraggewässer, was auch nicht zu unterschätzen ist…
Ihre Frau Knobloch, langkleidwadenumraschelnd zugeneigt.
Öööhhh, Sie machen mich noch ganz verwirrledeit, meine höchstwertgeschätzte Frau Knobloch. Ihr anhaltendes Pepitajerseysamtseidenes Geraschel wirft alle innerfilmischen Projekten fast gleichzeitig in Gang hachhachhach ~~~~~ eine spätere Plumpskissennotbenutzung ist nicht ausgeschlossen…
Mit der herzensdringlichen Bitte um Feinstdreherchenbeiseitelegung, Ihr Herr Ärmel (aus dem bereits schwankenden Bembelland und weiterhin zugeneigt)
Noch etwas anderes raschelt hier vorfreudig verwirrledeit, mein lieber Herr Ärmel!
Bitte achten Sie die nächsten Tage auf tiefsurrende Zeppeline, einer könnte vielleicht ein Feinstraschelbündel bei Ihnen… pssst! Nu hörenSe doch auf zu schwanken ~~~~~~~~~~~~
Eiskaltverkwietschgnügliche Grüße aus dem strahlendem Lipperlandien, stets die Ihre, feinstdreherchenpolierend.
? – – ? – ! ___ Plumps!
Werteste, wenn se sich mal entscheiden, sich zwischen zwei Buchdeckel einbinden zu lassen:
Hilfe hier (wo möglich)
Einfach bei Bedarf abholen.
Ihr Schnee vom See entspannt.
Danke für dieses hochwohle Angebot, ich wollte gerade noch jaundachen, aber ich nehme es lieber genauso an, wie es gemeint ist. Also: Ein buchdeckelwomöglichesbeidbackenknutschendes Danke!
Ihr Rotwangenfrostliebmädchen aus Lipperlandien.
Der Tag war lang, die Worte sind fort, doch, eines ist noch da: … hach!
Wir sind zu unterschiedlichen Zeiten taglangwortausgedünnt, aber ein Hach hat ja bekanntermaßen übergeordnete alphabetische Hohheitsgewalt. Darüber steht nur noch eines: Fetzt!
Oh, Victor, ich fühle mit ihm und seiner Kinderseele!
Gleich denke ich an meinen blonden Stein, der so wunderbar leicht und doch enorm Geschichten schwanger ist. Dass solch ein Stein Kraft spenden kann, will ich glauben und hoffe für Victor, dass es ihm ebenso gehen möge.
Beste Frau Knobloch, Ihr Schreibwerk ist vom Feinsten!
Liebe Grüße aus der leicht verwinterten Silbenkemenate,
Silbia
Ich danke Ihnen heute schlichtwortig, liebe Frau Silbia. Und natürlich gleichzeitig knallbonbonplatzendflitterös…
Ihre Frau Knobloch, rückenkrummheimwärtssehnend nun. Ach, und Gegenbesuch versprechend, ach…
Warum muss ich dabei jäh an Gavroche denken? Ich kann es nicht erklären – als sei es mir zugeflogen… Danke für diese intensiven Zeilen…
Gavroche ist nicht die schlechteste Assoziation, mein Lieber! Den habe ich schon geliebt, als er Schullektüre war. Also nicht er, sondern der gleichnamige Auszug aus den „Elenden“.
Und ich danke Ihnen für das intensive Lesen, es mir eine hohe Freude.
Herzlichst, Ihre Käthe, winterrotwangig zugeneigt.
Immer wieder sehr gern, weil Sie so bewusst wie sprachliebend schreiben :-) Ich meine, Gavroche auch mehrmals verschlungen zu haben… Herzliche Sonnengrüße von hier… Tristan
Wunderschön. Wo kam die Ermutigung her? Von der Leichtigkeit eines Steines? Irgendetwas an diesem Stein muss ihn anders beim Namen gerufen haben als seine Eltern. Klasse beschrieben, auch der Energieausbruch, der endlcih den richtigen Kanal findet: nicht mehr anti, sondern pro: Victor.
Vieles kann uns ermutigen, lieber Michael. Ein besonderer Stein, der auf seiner Zeitenreise viel Energie in sich aufnahm, ein Buch, welches durch die Pupillen direkt ins Herz sich einbuchstabiert oder ein allwisender Baum, in dessen Schatten man endlich mal zur Ruhe kommt. Und vergessen wir die vielen Menschenkinder nicht, die sich gegenseitig Mut verschaffen…
Danke für Ihre lieben Lobworte, ich freue mich tulpenkwietschigraschelig.
Stets die Ihre, Käthe, dankbar zugetan.